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Der Köder

Der Köder

Titel: Der Köder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.J. Tracy
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worden war – vor acht Jahren – und blätterte in dem Dokument. Bei jedem
    Einreisestempel verfinsterte sich sein Gesicht mehr, und schließlich schob er den Pass in seine Tasche.
    Auf dem Boden der Kiste befand sich noch ein schmutziges
    Stoffbündel. Marty zupfte am Stoff und stolperte rückwärts, als das Ding herausfiel. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und er sah
    Morey vor sich, der an seiner Haustür stand und eine Papiertüte in der Hand hielt. Es war genau einen Monat nach Hannahs Ermordung
    gewesen.
    Das hier ist für dich, Martin.
    Was ist das?
    Jacks Erbe, als er noch mein Sohn war. Er wollte es nicht. Jetzt gehört es dir.
    Ich nehme doch nicht Jacks Erbe an, Morey… um Gottes willen.
    Wo hast du die her?
    Sehr schön, nicht wahr? Government Model 45-A Colt.
    Spezialgriff, mit Perlmutt eingelegt. Ist über sechzig Jahre alt. Ich habe sie einem toten Nazi abgenommen, der wahrscheinlich einen amerikanischen Offizier getötet hat, um sie zu bekommen. Er ist mein wertvollster Besitz, Martin. Und mein Vermächtnis.
    Marty saß auf dem Schlafzimmerfußboden, atmete tief durch und
    starrte auf die 45er mit Perlmuttgriff, die widersinnigerweise ganz unten in einer Anglerkiste lag. Er hatte nicht erwartet, die Waffe jemals wieder zu Gesicht zu bekommen.
    Ihm wurde erst bewusst, dass er nach der Pistole gegriffen hatte, als er das glatte Perlmutt in der Handfläche spürte. Die
    Beschaffenheit, das Gewicht, die kleine Vertiefung in der
    Abzugskrümmung – alles war dasselbe. Genauso, wie es beim
    letzten Mal gewesen war.
    Er roch Urin in dem Raum, Rauch und den unverwechselbar
    beißenden Geruch, der entstand, wenn jemand sich den Tod kochte.
    Eine Ratte lief ihm über den Weg, blieb stehen, sah ihn an und machte sich gemächlich davon. Er sah, wie sich sein Schatten auf der Wand bewegte, auf die er zuging, und das lange strähnige Haar dieser nichtswürdigen Kreatur verdunkelte, der immer weiter in sich zusammensackte, während er sich langsam eine Nadel in den Arm schob.
    Und dann sah er die Augen, die er nie vergessen würde, die
    blassen sehnigen Hände, die Hannahs Kehle aufgeschlitzt hatten, und dann die Pistole, die er langsam auf Augenhöhe gehoben hatte und der wie ein anklagender Zeigefinger auf Eddie Starrs Stirn zielte. Ein Feuerstoß schien aus der Mündung zu zucken, als er abdrückte, aber das erschreckte ihn nicht. Er stand nur da, lange Minuten, und sah mit leeren Augen, wie das rote Blut die Wand hinunterrann.
    Am nächsten Morgen war Marty in die Gärtnerei gegangen und
    hatte Morey die Waffe zurückgegeben. Sie sei zu wertvoll, hatte er gesagt, zu sehr Bestandteil der Familiengeschichte. Er könne sie
    nicht behalten. Am Nachmittag desselben Tages hatte er die 357er
    gekauft und seinen Selbstmord geplant.
    Er war jetzt ruhig, vielleicht ruhiger als seit Monaten. Er wickelte die Pistole sorgfältig ein, legte sie wieder in die Anglerkiste und schob diese zurück in die Ecke des Schranks, wo er sie gefunden
    hatte. Irgendwann in den vergangenen drei Tagen hatte er für sich entschieden, noch eine Familie zu besitzen, Verpflichtungen zu
    haben und, was erstaunlich war, weiterleben zu wollen.
    Also würde er die Waffe der Polizei übergeben, sich stellen und
    den Preis für das zahlen, was er getan hatte, denn so und nicht anders hatte es zu sein.
    Aber noch nicht sofort.

    KAPITEL 36

    Um fünf Uhr nachmittags konnte Magozzi sehen, wie sich in der
    Ferne die Gewitterwolken auftürmten, als hätte jemand einen Beutel Wattebäusche über dem westlichen Horizont ausgeschüttet. Langer
    war nach seiner überstürzten Flucht aus dem Büro ein paar Minuten später zurückgekehrt, noch immer ein wenig blass, aber doch
    gekräftigt, und seither hatten sie alle ununterbrochen am Telefon gehangen.
    Sie hatten sich ungelöste Mordfälle bestätigen lassen, die zu den Datumsangaben auf den zwanzig jüngsten Fotos aus dem Haus von
    Schuler passten, und die örtlichen Dienststellen darauf angesetzt, Familienmitglieder aufzuspüren. Aber jetzt steckten sie in einer
    Sackgasse. Ältere Akten der Strafverfolgungsbehörden lagerten
    irgendwo in einem Lagerhaus in staubigen Kartons, und die meisten der Detectives, die daran gearbeitet hatten, befanden sich längst im Ruhestand.
    Magozzi war nicht sonderlich beunruhigt. Seiner Einschätzung
    nach hätten rachsüchtige Familienmitglieder, die Vergeltung für
    einen Angehörigen suchten, den Morey, Rose und Ben getötet
    hatten, ohnehin nicht so lange gewartet.

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