Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
»Die Begeisterung … dieser neuen Freunde der Chemotherapie ist erfrischend und scheint auf einem soliden Fundament zu stehen«, schrieb er 1955 an Mary Lasker. »Nichtsdestoweniger geht die Arbeit erschreckend langsam voran. Manchmal wird es eintönig, wenn man zuschaut, wie immer mehr Leute ins Boot geholt werden, um die Freuden der Entdeckung Amerikas zu durchleben.«
Farber hatte unterdessen in Boston seine eigene Suche nach geeigneten Medikamenten beschleunigt. In den vierziger Jahren hatte der Mikrobiologe Selman Waksman systematisch die in der Bodenflora lebenden Bakterien untersucht und diverse Antibiotikareihen daraus gewonnen. (Wie der Schimmelpilz Penicillium , aus dem Penizillin gewonnen wird, sind auch Bakterien als Antibiotikum zur Bekämpfung schädlicher Eindringlinge einsetzbar.) Ein solches Antibiotikum stammt von einer stabförmigen Bakteriengattung 16 namens Actinomyces . Waksman nannte es Actinomycin D. Es ist ein riesiges Molekül, das mit seinem kleinen, kopflosen Torso und zwei ausgestreckten Flügeln an eine griechische Statue erinnert, und wie später entdeckt wurde, wirkt es, indem es sich an DNA bindet und sie beschädigt. Bakterienzellen zerstörte es zuverlässig, leider auch gesunde menschliche Zellen, weshalb es als antibakterielles Mittel nur begrenzt verwendet werden konnte.
Doch ein Onkologe ist immer begeistert, wenn ein neues Zellengift gefunden wird. Im Sommer 1954 brachte Farber Waksman dazu, ihm eine Reihe von Antibiotika zu schicken, darunter Actinomycin D, denn er wollte sie an diversen Tumoren bei Mäusen testen. Und bei diesen, stellte er fest, war Actinomycin D bemerkenswert wirkungsvoll. Eine Verabreichung von nur wenigen Dosen brachte viele Mäusekarzinome zum Verschwinden, auch Leukämie, Lymphom und Brustkrebs. »Man zögert, von ›Heilmitteln‹ zu sprechen«, schrieb Farber erwartungsvoll, »aber es ist schwer, sie anders zu klassifizieren.«
Beflügelt von den »Heilungen« bei Tieren, begann er 1955 mit mehreren klinischen Studien, um die Wirkung der Substanz beim Menschen zu prüfen. Bei leukämiekranken Kindern hatte Actinomycin D keine Wirkung. 17 Unverzagt setzte Farber das Mittel bei 275 Kindern mit einem ganzen Spektrum verschiedener Krebsarten ein: Lymphom, Nierensarkom, Muskelsarkom und Neuroblastom. Die Versuchsreihe war der Albtraum des Pharmazeuten: Actinomycin D war so toxisch, dass es stark mit Salzwasser verdünnt werden musste; trat auch nur eine winzige Menge neben der Einstichstelle in der Vene aus, wurde die Haut ringsum nekrotisch und schwarz. Bei Kindern mit engen Venen wurde das Mittel häufig durch einen intravenösen Port in der Kopfhaut verabreicht.
Die eine Krebsart, die bei diesen frühen Testreihen auf Actinomycin D reagierte, war das Nephroblastom (Wilms-Tumor), eine seltene Variante von Nierenkrebs, von der sehr kleine Kinder betroffen sind; die Behandlung war in der Regel die chirurgische Entfernung der betroffenen Niere. Auf die Operation folgte eine Bestrahlung des Nierenbeckens. Aber nicht alle Nephroblastome konnten lokal behandelt werden: In einigen Fällen hatte der Tumor zum Zeitpunkt seiner Entdeckung bereits Metastasen gebildet, meist in der Lunge, wo sich der Krebs gegen eine Behandlung sperrte, weshalb Wilms-Tumoren gewöhnlich mit Strahlen und verschiedenen chemischen Mitteln bombardiert wurden. Allerdings war die Hoffnung auf eine anhaltende Wirkung gering.
Farber stellte fest, dass Actinomycin D, intravenös verabreicht, das Wachstum von Lungenmetastasen wirksam hemmte; häufig trat eine monatelange Remission ein. Neugierig geworden, ging er der Spur nach. Wenn Bestrahlung und Actinomycin D unabhängig voneinander gegen Metastasen des Wilms-Tumors wirkten, stellte sich die Frage, ob sie kombiniert werden konnten. 1958 setzte er ein junges Radiologenpaar, Giulio D’Angio und Audrey Evans, und den Onkologen Donald Pinkel auf das Projekt an. Innerhalb weniger Monate konnte das Team den Nachweis vorlegen, dass Bestrahlung und Actinomycin D gemeinsam einen bemerkenswerten Synergieeffekt erzielten: Die toxische Wirkung der einen Therapie verstärkte die toxische Wirkung der anderen. Kinder mit metastasiertem Krebs reagierten häufig prompt auf die Kombinationstherapie. »Nach rund drei Wochen war eine zuvor mit Metastasen des Wilms-Tumors gespickte Lunge wieder völlig frei«, 18 berichtete D’Angio. »Man stelle sich die Aufregung jener Tage vor, als wir zum ersten Mal mit berechtigter Zuversicht sagen konnten:
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