Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
Jahre, dreißig Jahre nach der Prägung des Begriffs, war die molekulare Natur des Gens in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Dreierlei war nun bekannt: Funktional gesehen ist ein Gen eine Erbeinheit, die eine biologische Eigenschaft von einer Zelle auf die andere beziehungsweise von einer Generation auf die nächste überträgt. Die biologische Grundlage der Gene innerhalb der Zelle sind die Chromosomen. Und chemisch bestehen die Gene aus DNA, aus Desoxyribonukleinsäure.
Aber ein Gen ist nur Träger von Information. Um ein Gen funktional, biologisch und chemisch verstehen zu können, war zunächst ein mechanistisches Verständnis erforderlich: Wie manifestiert sich die genetische Information in der Zelle? Was »tut« ein Gen – und wie?
Um diesen Fragen nachzugehen, verlegte sich George Beadle, ein Student von Thomas Morgan, 13 von Morgans Fruchtfliegen auf einen noch primitiveren Organismus, den Schleimpilz. In der Zusammenarbeit mit dem Biochemiker Edward Tatum an der Stanford University in Kalifornien erkannte Beadle, dass Gene Baupläne für Proteine enthalten, komplexe, mehrdimensionale Makromoleküle, die sozusagen die Arbeitstiere der Zelle sind.
Proteine, entdeckten die Forscher in den vierziger Jahren, führen den Großteil der Zellfunktionen aus. Sie bilden Enzyme, die Katalysatoren für die lebenswichtigen biochemischen Reaktionen in der Zelle. Sie sind Rezeptoren für andere Proteine oder Moleküle und sind für die Weiterleitung von Signalen zwischen Zellen zuständig. Sie können strukturelle Bestandteile der Zelle errichten, etwa das Molekulargerüst, als das eine Zelle in einer bestimmten Konfiguration im Raum existiert. Sie regulieren andere Proteine und schaffen auf diese Weise winzige Kreisläufe innerhalb der Zelle, die deren Lebenszyklus koordinieren.
Beadle und Tatum entdeckten, dass ein Gen die Vorlage für den Bau eines Proteins liefert. Ein Protein ist ein ausgeführtes Gen – die Maschine, die nach den Anweisungen des Gens gebaut wird. Aber Proteine werden nicht direkt aus Genen erzeugt. Ende der 1950er Jahre fanden Jacques Monod und François Jacob in Paris, Sydney Brenner und Matthew Meselson am Caltech in Pasadena, Kalifornien, sowie Francis Crick in Cambridge in England heraus, dass die nach den Anweisungen eines Gens erfolgende Proteinsynthese einen Mediator erfordert: das Molekül Ribonukleinsäure oder RNA.
RNA ist die Arbeitskopie der genetischen Vorlage. Durch RNA wird ein Gen in ein Protein übersetzt. Die zwischengeschaltete RNA-Kopie eines Gens nennt man dessen »Botschaft« oder Transkript, und die Weitergabe der genetischen Information von einer Zelle an ihre Nachkommen verläuft in einzelnen, koordinierten Schritten: Zuerst werden die Gene mit ihren Trägern, den Chromosomen, während der Zellteilung verdoppelt und der Tochterzelle weitergegeben. Dann wird von einem Gen in DNA-Form eine RNA-Kopie erstellt. Zuletzt wird das RNA-Transkript in ein Protein übersetzt. Das Protein, das letzte Produkt genetischer Information, führt die vom Gen codierte Funktion aus.
Ein von Mendel und Morgan entliehenes Beispiel veranschaulicht den Prozess des Informationstransfers von einer Zelle zur anderen. Rotäugige Fliegen verdanken ihre grimmigen rubinroten Augen einem Gen, das die Information für den Bau eines Proteins mit dem Pigment Rot enthält. Bei jeder Zellteilung wird eine Kopie dieses Gens hergestellt, und auf diesem Weg gelangt die Information »rote Augen« von der Fliege in ihre Eier und von den Eiern in den Fliegennachwuchs. In den Augenzellen des Abkömmlings wird das Gen »entschlüsselt«, das heißt als Zwischenschritt in ein RNA-Transkript konvertiert. Dieses wiederum weist die Augenzellen an, das Farbstoffprotein zu bauen, und so entsteht die nächste Generation rotäugiger Fliegen. Jede Unterbrechung dieser Informationskette kann die Weitergabe der Rotäugigkeit hemmen – heraus kommen dann Fliegen mit farblosen Augen.
Dieser in eine einzige Richtung verlaufende Fluss genetischer Information – DNA → RNA → Protein – wurde als universal erkannt, bei allen Lebewesen gleich, von den Bakterien über Schleimpilze und Fruchtfliegen bis hin zum Menschen. Mitte der 1950er Jahre ernannten ihn die Biologen 14 zum »Zentraldogma« der Molekularbiologie.
Ein strahlendes Jahrhundert biologischer Entdeckungen, das sich von der Entdeckung der Vererbung durch Mendel um 1860 bis zur Identifizierung der RNA-Kopie von Genen durch Monod in den 1950er Jahren
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