Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
weißen, schrumpligen Samen brachten nur Pflanzen mit weißen, schrumpligen Samen hervor.
Die Folgerungen aus seinen Experimenten waren weitreichend: Erbeigenschaften, postulierte Mendel, werden in separaten, unteilbaren Päckchen weitergegeben. Die »Anweisungen« einer Zelle eines Organismus an ihre Nachkommen erfolgen über die Weitergabe dieser Informationspäckchen.
Mendel konnte diese Eigenschaften oder Merkmale nur beschreiben – als Farben, Beschaffenheit und Höhe, die von einer Generation auf die nächste übergehen; den Träger solcher Informationen konnte er nicht ausmachen. Sein primitives Mikroskop, mit dem er kaum ins Innere einer Zelle blicken konnte, war nicht imstande, die Mechanismen der Vererbung sichtbar zu machen. Mendel hatte nicht einmal einen Namen für seine Vererbungseinheit; erst Jahrzehnte später, 1909, gaben Botaniker ihr den Namen Gen. 10 Aber auch zu diesem Zeitpunkt war der Name bloß ein Name und lieferte keine weitere Erklärung über die Struktur oder Funktion eines Gens. Mendels Studien gaben der Biologie eine provokante Frage auf, die ein halbes Jahrhundert der Antwort harrte: Welche physische, materielle Form nimmt ein »Gen«, die Grundeinheit der Vererbung, innerhalb der Zelle an?
1910 fand Thomas Hunt Morgan, 11 Embryologe an der New Yorker Columbia University, die Antwort. Wie Mendel war er ein begeisterter Züchter, allerdings von Fruchtfliegen, die er zu Tausenden auf verrottenden Bananen in einem eigenen Raum am äußersten Rand des Campus züchtete. Wie Mendel entdeckte er Erbeigenschaften, die sich unteilbar durch eine Fruchtfliegengeneration nach der anderen bewegten – Augenfarbe und Flügelmuster wurden unvermischt von den Eltern auf den Nachwuchs übertragen.
Morgan machte noch eine andere Beobachtung. Er stellte fest, dass manche seltenen Eigenschaften wie weiße Augen unauflöslich an das Geschlecht der Fliege gebunden waren: Weiße Augen kamen ausschließlich bei männlichen Fliegen vor. Aber Morgan wusste bereits, dass »Männlichkeit«, die Vererbung des Geschlechts, mit den Chromosomen zusammenhing; folglich mussten auch die Gene von den Chromosomen übertragen werden, den fadenähnlichen Strukturen, die Flemming dreißig Jahre früher entdeckt hatte. Tatsächlich fügten sich auf einmal einige von Flemmings ersten Erkenntnissen über die Eigenschaften von Chromosomen für Morgan zu einem Bild: Nachdem sich beim Prozess der Zellteilung die Chromosomen verdoppeln, verdoppeln sich auch die Gene und werden auf diese Weise von einer Zelle auf die nächste und von einem Organismus auf dessen Nachkommen übertragen. Chromosomenanomalitäten führten bei Seeigeln zu Anomalitäten bei Wachstum und Entwicklung, was darauf schließen ließ, dass für die Dysfunktion abnorme Gene verantwortlich waren. 1915 legte Morgan eine entscheidende Weiterentwicklung von Mendels Vererbungstheorie vor: Träger der Gene sind die Chromosomen. Weil bei der Zellteilung die Chromosomen von einer Zelle auf ihre Tochterzelle übergehen, werden auch die Gene an die Nachkommenschaft weitergegeben.
Die dritte Vorstellung von »Gen« 12 tauchte in der Arbeit von Oswald Avery auf, einem Bakteriologen an der Rockefeller University in New York. Mendel hatte die Weitergabe von Genen von einer Generation an die nächste entdeckt; Morgan hatte bewiesen, dass die Träger der Gene die Chromosomen sind. 1936 stellte Avery fest, dass Gene bei manchen Bakterienspezies auch lateral zwischen zwei Organismen übertragen werden können, nämlich von einem Bakterium an seinen Nachbarn. Sogar tote, inerte Bakterien, die nichts anderes mehr sind als eine Ansammlung chemischer Substanzen, können genetische Informationen an lebende Bakterien weitergeben. Das ließ darauf schließen, dass eine inerte chemische Substanz Trägerin von Genen ist. Avery zerlegte Bakterien, die er mit Hitze abgetötet hatte, in ihre chemischen Bestandteile und testete anschließend jede Komponente auf ihre Fähigkeit, Gene zu übertragen: 1944 konnten Avery und seine Kollegen schließlich berichten, dass die Trägersubstanz der Gene ein Molekül ist, die Desoxyribonukleinsäure oder DNA. Was die Wissenschaftler früher als zellulares Füllmaterial ohne rechte Funktion vernachlässigt hatten – ein »dummes Molekül«, wie der Biologe Max Delbrück einmal verächtlich meinte –, erwies sich als der zentrale Überträger von genetischer Information, das am wenigsten dumme Molekül in der Welt der Chemie.
Mitte der 1940er
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