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Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Titel: Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
Autoren: Mukherjee Siddhartha
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Substanzen agiert. Die meisten bisher entdeckten Onkogene wie Ras und Myc sind in der Zelle eingeschlossen ( Ras haftet an der Zellmembran, ist aber nach innen gewandt) und sind somit für Wirkstoffe, die nicht die Zellmembran durchdringen können, unerreichbar. Das vom Neu -Gen synthetisierte Protein hingegen war ganz anders – nicht tief in der Zelle verborgen, sondern an der Zellmembran haftend und mit einem großen überstehenden Fragment, das für jeden Wirkstoff gut erreichbar ist.
    Lakshmi Charan Padhy hatte sogar ein »Medikament«, das er testen konnte. 1981 hatte er, während er sein Gen isolierte, einen Antikörper gegen das neue Protein von Neu hergestellt. Antikörper sind Moleküle, die speziell zu dem Zweck gebildet werden, andere Moleküle zu binden, und dabei kann gelegentlich das gebundene Protein blockiert und inaktiviert werden. Aber die Zellmembran durchdringen Antikörper nicht: Sie brauchen ein freiliegendes Protein außerhalb der Zelle, um sich daran zu binden. Darum war Neu mit seinem langen, verlockend aus der Zellmembran hängenden molekularen »Fuß« das perfekte Ziel. Padhy hätte nur einen Nachmittag lang zu experimentieren brauchen, um den Neu -Antikörper in die Neuroblastomzellen einzuschleusen und die Wirkung der Bindung zu bestimmen. »Am nächsten Tag hätten wir’s gehabt«, 6 erinnerte sich Weinberg später. »Ich könnte mich ohrfeigen. Wäre ich fleißiger und konzentrierter gewesen und nicht so monoman von den Ideen besessen, die ich damals hatte, hätte ich den Zusammenhang hergestellt.«
    Trotz der bestechenden Hinweise schafften es Padhy und Weinberg nie, ihr Experiment durchzuführen. Es verging ein Tag um den anderen. Padhy, ein in sich gekehrter Bücherwurm, wanderte winters in einem fadenscheinigen Mantel durchs Labor, führte seine Experimente für sich allein durch und verlor nicht viele Worte darüber. Und obwohl Padhys Entdeckung 7 in einer angesehenen Fachzeitschrift veröffentlicht wurde, fiel kaum einem Wissenschaftler auf, dass er womöglich auf ein Antikrebsmedikament gestoßen war (in seinem Artikel versteckte sich der Neu -bindende Antikörper in einem undurchsichtigen Diagramm). Auch Weinberg, der vom Strudel neu auftauchender Onkogene und der elementaren Biologie der Krebszelle vollständig in Anspruch genommen war, vergaß das Neu -Experiment ganz einfach. *
    *    1986 bewiesen Jeffrey Drebin und Mark Greene, dass die Behandlung mit einem Anti- Neu -Antikörper das Wachstum von Krebszellen stoppt. Doch keines der mit diesem Thema befassten Teams kam auf die Idee, aus diesem Antikörper ein Krebsmedikament zu entwickeln.
    Weinberg hatte ein Onkogen und wahrscheinlich eine onkogenhemmende Substanz, doch die beiden fanden nie zueinander (weder in menschlichen Zellen noch in Körpern). In den Neuroblastomzellen, die sich im Inkubator teilten, wütete Neu unvermindert, unbeirrbar, anscheinend unbesiegbar. Aber sein molekularer Fuß hing noch immer aus der Plasmamembran, entblößt und verletzlich wie des Achilles berühmte Ferse.

DAS RENNEN DER ROTEN KÖNIGIN
    »In unserem Land«, sagte Alice, 1 noch immer ein bisschen keuchend,
»kommt man auf jeden Fall irgendwo anders hin – wenn man, so wie wir es
gerade getan haben, lange Zeit sehr schnell läuft.«
»Ein ziemlich langsames Land!«, sagte die Rote Königin, »hier muss man,
wie du siehst, in einem fort laufen, so schnell man kann, damit man
am selben Ort bleibt. Wenn man irgendwo anders hinkommen will,
muss man mindestens doppelt so schnell laufen.«
    Lewis Carroll
     
    Im August 2000 2 begann Jerry Mayfield, ein einundvierzigjähriger Polizist aus Louisiana, bei dem CML diagnostiziert wurde, mit seiner Therapie. Zuerst sprach der Krebs prompt auf Glivec an, im Lauf von sechs Monaten sank der Anteil leukämischer Zellen im Knochenmark. Seine Blutwerte normalisierten sich, die Symptome besserten sich, er fühlte sich verjüngt – »wie ein neuer Mensch auf einer wunderbaren Droge«. Aber die Reaktion war nicht von Dauer. Im Winter 2003 reagierte die Leukämie nicht mehr. Moshe Talpaz, der Mayfield in Houston behandelte, erhöhte die Dosierung einmal, dann noch einmal, weil er hoffte, schneller zu sein als die Leukämie. Doch im Oktober desselben Jahres war gar keine Reaktion mehr zu erkennen. Das Knochenmark war wieder vollständig von Leukämiezellen besiedelt, und die Milz begann sich zu füllen. Mayfields Krebs war gegen die zielgerichtete Therapie resistent geworden.
    Inzwischen im fünften Jahr
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