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Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Titel: Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
Autoren: Mukherjee Siddhartha
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lokal begrenzte Strategien und versagen, wenn sich Krebszellen bereits über die Grenzen dessen, was operativ entfernt oder aber bestrahlt werden kann, ausgebreitet haben. Noch umfangreichere Operationen führen nicht zu besseren Heilungschancen, wie die Anhänger der radikalen Mastektomie in den fünfziger Jahren zu ihrer Verzweiflung feststellen mussten.
    Der chemische Angriff gegen das Zellwachstum stößt ebenfalls an eine biologische Grenze, denn auch normale Zellen müssen wachsen. Wachstum mag das Kennzeichen von Krebs sein, aber es ist auch das Kennzeichen von Leben. Gifte gegen Zellwachstum wie Vincristin oder Cisplatin greifen am Ende auch das normale Wachstum an, und die am raschesten wachsenden Zellen im Körper müssen die Kollateralschäden der Chemotherapie aushalten: Das sind vor allem die Zellen der Blutbildung, der Schleimhäute und der Haarbälge sowie die Zellen, aus denen sich die Nägel bilden. Zusätzliche Wirkstoffe oder höhere Dosen erzeugen nur mehr Toxizität ohne größere Heilwirkung, wie die radikalen Chemotherapeuten in den achtziger Jahren zu ihrer Verzweiflung feststellen mussten.
    Um Krebszellen mit neuen Therapien angreifen zu können, mussten Wissenschaftler und Ärzte neue krebsspezifische Schwachstellen entdecken. Die Erkenntnisse der Krebsbiologie in den 1980er Jahren zeichneten ein viel nuancierteres Bild davon. Drei neue Prinzipien traten zutage: drei Schwachstellen des Krebses.
    Erstens: Es ist die Akkumulation der Mutationen in der DNA, die Krebszellen wuchern lässt. Die Mutationen aktivieren zellinterne Protoonkogene und inaktivieren Tumorsuppressorgene, betätigen also die »Gaspedale« und »Bremsen«, die bei der normalen Zellteilung aktiv sind. Wenn man diese hyperaktiven Gene angreift, dabei aber ihre normalen, gemäßigten Vorläufer verschonen kann, wäre dies eine neuartige Methode, um Krebszellen noch zielgenauer zu treffen.
    Zweitens: Protoonkogene und Tumorsuppressorgene befinden sich traditionell an den Knotenpunkten der Signalwege in der Zelle. Krebszellen teilen sich und wachsen, weil hyperaktive beziehungsweise inaktive Signale innerhalb dieser kritischen Netzwerke sie dazu zwingen. Auch in normalen Zellen existieren diese Signalwege, allerdings sind sie dort streng reguliert. Die potentielle Abhängigkeit einer Krebszelle von permanent aktivierten Signalwegen ist eine zweite mögliche Anfälligkeit einer Krebszelle.
    Drittens: Der gnadenlose Zyklus aus Mutation, Selektion und Überleben erzeugt eine Krebszelle, die neben dem schnellen Wachstum noch verschiedene zusätzliche Eigenschaften erworben hat. Dazu zählt die Fähigkeit, das Zelltodsignal zu ignorieren, durch den Körper zu wandern und Blutgefäße zum Wachstum anzuregen. Diese »Kennzeichen von Krebs« wurden nicht von der Krebszelle erfunden; typischerweise entstehen sie aus der Verfälschung ähnlicher Prozesse, die in der normalen Physiologie des Körpers ablaufen. Die erworbene Abhängigkeit der Krebszelle von diesen Prozessen ist eine dritte mögliche Schwachstelle des Krebses.
    Die zentrale therapeutische Herausforderung der neuesten Krebsmedizin bestand also darin, unter der Vielzahl von Ähnlichkeiten zwischen normalen Zellen und Krebszellen subtile Unterschiede in den Genen, den Signalwegen und den erworbenen Fähigkeiten zu finden – und einen vergifteten Pfeil in diese neue Achillesferse zu schießen.
    Es ist eine Sache, eine Achillesferse zu identifizieren – und eine ganz andere, eine Waffe zu entdecken, die etwas gegen sie ausrichten kann. Bis in die späten achtziger Jahre hatte es keinen Wirkstoff gegeben, der die Aktivierung eines Onkogens oder die Inaktivierung eines Tumorsuppressorgens wieder aufheben konnte. Selbst Tamoxifen, das spezifischste Krebsmedikament, das bis heute entdeckt wurde, wirkt nicht direkt durch Inaktivierung eines Onkogens oder eines von einem Onkogen aktivierten Signalwegs, sondern nutzt lediglich die Abhängigkeit mancher Brustkrebsarten von Östrogen. Die Entdeckung des ersten speziell gegen ein Onkogen gerichteten Therapeutikums im Jahr 1986 elektrisierte demnach die Krebsärzte auf der Stelle. Auch wenn es eher zufällig gefunden wurde, bereitete die bloße Existenz eines solchen Moleküls den Weg für die groß angelegte Suche nach neuen Wirkstoffen im darauf folgenden Jahrzehnt.
    Die Erkrankung, die am wichtigsten Scheideweg der Onkologie stand, war eine weitere seltene Variante der Leukämie, die so genannte akute Promyelozytenleukämie (APL).
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