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Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Titel: Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
Autoren: Mukherjee Siddhartha
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ihrer Glivec-Studie hatten Talpaz und Sawyers mehrere Fälle wie Mayfield erlebt. Sie waren selten. Beim weitaus größten Anteil der behandelten CML-Patienten hielt die Remission an, eine weitere Therapie war nicht erforderlich. Doch gelegentlich kam es vor, dass die Leukämie eines Patienten auf Glivec nicht mehr reagierte und Glivec-resistente Zellen nachwuchsen. Sawyers, der eben erst die Welt der zielgerichteten Therapie betreten hatte, betrat rasch eine molekulare Welt jenseits der zielgerichteten Therapie und stellte sich die Frage: Wie kann eine Krebszelle resistent gegen eine Substanz werden, die das krebsverursachende Onkogen direkt ausschaltet?
    In der Ära der nichtzielgenauen Arzneimittel wurden Krebszellen infolge einer Vielzahl raffinierter Mechanismen behandlungsresistent. Manche Zellen erwerben Mutationen, die molekulare Pumpen aktivieren. Normalerweise sind solche Pumpen dafür zuständig, natürliche Gifte und Abfallprodukte aus der Zelle auszustoßen. In Krebszellen aber scheiden aktivierte Pumpen chemotherapeutische Medikamente aus. Von der Chemotherapie verschont, bilden die medikamentenresistenten Zellen unter den Krebszellen bald die Mehrheit. Andere Krebszellen aktivieren Proteine, die Medikamente vernichten oder neutralisieren. Wieder andere Krebszellen entgehen den Wirkstoffen, indem sie in Reservoire auswandern, in die Medikamente nicht eindringen – wie im Fall der lymphatischen Leukämie, die sich ins Gehirn zurückzieht und dort rezidiviert.
    Die Wirkstoffresistenz bei CML-Zellen, stellte Sawyers fest, 3 kommt durch einen noch heimtückischeren Mechanismus zustande: Die Zellen erwerben Mutationen, die spezifisch die Struktur von Bcr - Abl verändern, so dass ein Protein entsteht, das den Wirkstoff nicht mehr binden kann und die Leukämie daher unvermindert wuchern lässt. Im Normalfall setzt sich Glivec in eine keilförmige Spalte in der Mitte von Bcr - Abl – wie »ein Pfeil, der sich mitten durch das Herz des Proteins bohrt«, 4 beschrieb es ein Chemiker. Glivec-resistente Mutationen in Bcr - Abl verändern das molekulare »Herz« des Bcr - Abl -Proteins, so dass das Mittel keinen Zugang zu der entscheidenden Spalte mehr hat und damit wirkungslos wird. In Mayfields Fall hatte eine einzige Veränderung im Bcr - Abl -Protein eine vollkommene Resistenz gegen Glivec bewirkt, was zu dem plötzlichen Rezidiv geführt hatte. Um der zielgerichteten Therapie zu entgehen, hatte der Krebs das Ziel verändert.
    Sawyers zog daraus den Schluss, dass ein ganz anderer Ansatz erforderlich ist, um die Glivec-Resistenz mit einem Medikament der zweiten Generation zu überwinden. Eine Erhöhung der Dosierung, erkannte er, wäre ebenso sinnlos wie die Entwicklung molekular eng verwandter Varianten des Medikaments. Nachdem die Mutation die Struktur von Bcr - Abl veränderte, müsste ein Wirkstoff der zweiten Generation das Protein durch einen ganz anderen, unabhängigen Mechanismus blockieren, vielleicht indem es sich auf anderem Weg Zugang zu der entscheidenden Spalte in der Mitte verschaffte.
    2005 entwickelte Sawyers’ Team 5 in Zusammenarbeit mit Chemikern von Bristol-Myers Squibb einen anderen, gegen das Glivec-resistente Bcr - Abl gerichteten Kinasehemmer. Wie erwartet, ist der neue Arzneistoff, Dasatinib genannt, nicht einfach ein strukturelles Analogon von Glivec, sondern steuert durch einen anderen molekularen Einschnitt auf der Oberfläche des Proteins auf das »Herz« von Bcr - Abl zu. Als Sawyers und Talpaz Dasatinib an Glivec-resistenten Patienten testeten, erzielten sie eine bemerkenswerte Wirkung: Wieder schrumpften die Leukämiezellen ein. Mayfields Leukämie, die gegen Glivec vollständig resistent war, wurde 2005 abermals in die Remission gezwungen. Seine Blutwerte normalisierten sich wieder, und die Leukämiezellen verschwanden nach und nach aus seinem Knochenmark. Der Stand im Jahr 2009 war, dass Mayfield auf Dasatinib umgestellt worden war und seine Remission offenbar anhielt.
    Selbst die zielgerichtete Therapie war also ein Katz-und-Maus-Spiel. Man konnte ewig mit Pfeilen auf die Ferse des Achilles schießen – die Krankheit hob einfach den Fuß und tauschte einen Angriffspunkt gegen einen anderen. Wir waren in einen immerwährenden Kampf mit einem flatterhaften Gegner verstrickt. Wenn CML-Zellen Glivec ausscheiden, kann dagegen nur eine andere molekulare Variante etwas ausrichten, und wenn diese auch nicht mehr hilft, brauchen wir eine weitere Generation von Arzneimitteln. Lässt
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