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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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herab
und nennt mich ›Knappe‹! Ach, Merlin, schenk mir Geduld, damit ich diesem
Mistkerl seinen dreckigen Schilling nicht ins Gesicht werfe.«
    Als er zum Gasthof kam, war dieser geschlossen.
Alle hatten sich auf den Weg gemacht, um das berühmte Turnier mitzuerleben.
Auch das ganze Gesinde war mit Kind und Kegel dem Strom der Menge gefolgt. Man
lebte in zügellosen Zeiten, und deshalb verließ niemand sein Haus – ja ging
niemals im Haus zu Bett –, ohne vorher dafür gesorgt zu haben, daß gewiß
niemand eindringen konnte. Die hölzernen Läden vor den Fenstern zu ebener Erde
waren zwei Zoll stark, und die Türen waren doppelt verriegelt.
    »So, und was nun?« fragte Wart. »Wie soll ich mir
jetzt meinen Schilling verdienen?«
    Niedergeschlagen betrachtete er die
verbarrikadierte Herberge. Dann mußte er lachen.
    »Armer Kay«, sagte er. »Das mit dem Schilling hast
du bloß gesagt, weil du Angst hattest und weil dir nicht wohl war in deiner
Haut. Jetzt aber steckst du wirklich in der Klemme. Na ja, ich werd’ schon
irgendwo ein Schwert herkriegen, und wenn ich in den Tower von London
einbrechen müßte. – Wie kommt man zu einem Schwert?« fuhr er fort. »Wo kann ich
eins stehlen? Soll ich, mit diesem dürftigen Klepper, einem Ritter auflauern
und ihm gewaltsam sein Schwert entreißen? In einer so großen Stadt muß es doch
irgendwo einen Waffenschmied geben, der noch offen hat.«
    Er wendete seinen Gaul und trabte die Straße hinab.
Am Ende lag ein stiller Kirchhof, und vor dem Portal der Kirche war ein freier
Platz. In der Mitte des Platzes war ein schwerer Stein mit einem Amboß darauf,
und in dem Amboß steckte, tief hineingetrieben, ein prachtvolles neues Schwert.
    »Jau«, sagte Wart, »es wird wohl so eine Art
Kriegerdenkmal sein, aber sei’s drum. Ich glaub’ nicht, daß jemand was
dagegen hat, wenn Kay mit einem Denkmals-Schwert kämpft, wo er doch so in der
Klemme sitzt.«
    Er band sein Pferd an einen Pfosten des überdachten
Friedhoftores, ging den kiesbestreuten Weg hinauf und packte den Schwertgriff.
    »Komm, Schwert«, sagte er. »Ich bitte ergebenst um
Verzeihung, aber du wirst zu einem besseren Zweck gebraucht. – Sonderbar, mir
ist ganz seltsam zumute, wenn ich dies Schwert anfasse, und ich sehe alles viel
deutlicher. Schau, die schönen Wasserspeier der Kirche und des Klosters, zu
dem sie gehört. Wie prächtig die berühmten Banner im Seitengang flattern. Wie
edel die Eibe ihr rotschuppiges Geäst zur Ehre Gottes hebt. Wie rein der
Schnee ist. Ich rieche etwas wie Sandel und Rosenholz -und ist es nicht Musik,
was ich höre?«
    Es war Musik, wie von Pansflöten oder Blockflöten,
und das Licht auf dem Kirchhof war so klar, ohne zu blenden, daß man zwanzig
Schritt entfernt eine Nadel hätte ausmachen können.
    »Hier ist doch jemand. Hier sind Menschen. Oh, was
wollt ihr?«
    Niemand gab ihm Antwort – die Musik aber war laut
und das Licht leuchtend.
    »Ihr da«, rief Wart, »ich brauch’ das Schwert. Es
ist nicht für mich, sondern für Kay. Ich bring’s zurück.«
    Immer noch keine Antwort. Wart wandte sich wieder
dem Amboß zu. Er sah die goldenen Buchstaben, ohne zu lesen, und die Juwelen am
Knauf, die im klaren Licht funkelten.
    »Komm, Schwert«, sagte Wart.
    Mit beiden Händen packte er den Griff und stemmte
sich gegen den Stein. Die Syrinxtöne und Flötenklänge umspielten ihn mit
melodischen Figurationen, doch nichts regte sich.
    Wart ließ den Griff fahren, als dieser in seine
Handflächen schnitt; er trat zurück und sah Sterne.
    »Es steckt ordentlich fest«, sagte er.
    Noch einmal packte er zu und zog mit äußerster
Kraft. Die Musik wurde stärker, und das Licht auf dem Friedhof schimmerte wie
Amethyste. Aber das Schwert gab nicht nach.
    »Ach, Merlin«, rief Wart, »hilf mir doch, das
Schwert hier rauszukriegen.«
    Es erhob sich so etwas wie ein Rauschen, und dazu
ertönte ein langgezogener Akkord. Über den ganzen Kirchhof verteilten sich
Hunderte von alten Freunden. Schemenhaft und wie die Geister ferner Tage
stiegen sie hinter der Kirchenmauer auf: Dachse und Nachtigallen und Krähen und
Hasen und Wildgänse und Falken und Fische und Hunde und Einhörner und Wespen
und Corkindrills und Igel und Greife und all die vielen anderen Tiere, die er
kennengelernt hatte. Überall an der Kirchenmauer tauchten sie auf, die Freunde
und Helfer, und einer nach dem ändern sprach feierlich zu Wart, sobald er an
der Reihe war. Einige waren von den Bannern in der Kirche gekommen,

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