Der König auf Camelot
in der Nähe war, und rührte im
Wasser herum. Das Schiff kam ans Ufer.«
»Sie war eine Hexe«, erklärte Gaheris.
»Die Mutter war die Hexe«, sagte der Heilige und fuhr mit
seiner Geschichte fort.
›»So‹, sagt sie, ›ich könnt’ machen, daß das Schiff am Ufer
zerschellte ›Das könnt’st du nicht‹, sagt der Vater. ›Dann paßt mal auf‹, sagt
das kleine Mädchen, und es sprang in den Brunnen. Das Schiff wurde ans Ufer
geschleudert und zerbarst in tausend Stücke. ›Wer hat dir diese Dinge beigebracht?‹
fragte der Vater. ›Meine Mutter. Und wenn Ihr arbeitet, bringt sie mir daheim
alles mögliche am Zuber bei‹.«
»Weshalb ist sie in den Brunnen gesprungen?« fragte
Agravaine. »Ist sie naß geworden?«
»Psst.«
»Als der Mann heimkam zu seiner Frau, da stellte er seinen
Torfspaten ab und setzte sich hin. Dann sagte er: ›Was bringst du dem kleinen
Mädchen bei? So was duld’ ich nicht in meinem Haus, und bei dir bleib’ ich
nicht.‹ Da ist er denn gegangen, und sie haben ihn nie wiedergesehn. Ich weiß
nicht, was sie danach gemacht haben.«
»Es muß scheußlich sein, eine Hexe zur Mutter zu haben«,
sagte Gareth, als der Alte geendet hatte.
»Oder zur Frau«, sagte Gawaine.
»Es ist schlimmer, überhaupt keine Frau zu haben«, sagte
der Heilige und verschwand mit erstaunlicher Plötzlichkeit in seinem Bienenkorb
– wie das Wettermännchen einer Schweizer Uhr, das sich ins Loch zurückzieht,
wenn ein Hoch im Anzug ist.
Die Jungen setzten sich vor die Tür, ohne überrascht zu
sein, und warteten, was sich sonst noch begeben mochte. Insgeheim dachten sie
über Brunnen und Hexen nach, über Einhörner und über das, was Mütter so treiben.
»Ich mache einen Vorschlag«, sagte Gareth unerwartet.
»Meine Helden: wir sollten uns auf die Einhornjagd begeben!«
Sie sahen ihn an.
»Ist doch besser als gar nichts. Wir haben unsere Mami eine
ganze Woche nicht gesehn.«
»Sie hat uns vergessen«, sagte Agravaine bitter.
»Hat sie nicht. Du darfst nicht so von unsrer Mutter
sprechen.«
»Stimmt aber. Wir haben nicht einmal auftragen dürfen.«
»Das ist nur, weil sie diese Ritter zu Gast hat.«
»Nein, ist es nicht.«
»Was dann?«
»Das sage ich nicht.«
»Wenn wir auf Einhornjagd gehen könnten«, sagte Gareth,
»und dies Einhorn heimbrächten, das sie haben will, dann dürften wir vielleicht
auftragen?«
Dieser Vorschlag machte ihnen neue Hoffnung.
»Sankt Toirdealbhach«, riefen sie, »kommt wieder raus! Wir
wollen ein Einhorn fangen.«
Der Heilige steckte seinen Kopf zum Loch heraus und
musterte sie argwöhnisch.
»Was ist ein Einhorn? Wie sehen sie aus? Wie fängt man
sie?«
Er nickte feierlich und verschwand zum zweitenmal. Ein paar
Minuten später kam er auf allen Vieren mit einem gelehrten Wälzer wieder hervorgekrochen:
dem einzigen weltlichen Werk in seinem Besitz. Wie die meisten Heiligen
verdiente er seinen Lebensunterhalt durch das Kopieren von Handschriften und
das Pinseln von Illuminationen.
»Man braucht ein Mädchen als Köder«, erklärten sie ihm.
»Wir haben haufenweise Mädchen«, sagte Gareth. »Wir könnten
eine von den Mägden oder Köchinnen nehmen.«
»Die würden nicht mitkommen.«
»Wir könnten das Küchenmädchen nehmen. Wir könnten sie dazu
zwingen.«
»Und dann, wenn wir das Einhorn gefangen haben, das
gewünscht wird, bringen wir’s im Triumph heim und geben’s unserer Mutter! Jeden
Tag tragen wir das Abendessen auf!«
»Sie wird sich freuen.«
»Vielleicht nach dem Abendessen, wie’s auch ausgehn mag.«
»Und Sir Grummore wird uns zum Ritter schlagen. Er wird
sagen: ›Nie wurd’ solch tapfre Tat getan, bei meiner Heiligkeit!‹«
St. Toirdealbhach legte das kostbare Buch vor seiner Höhle
ins Gras. Das Gras war sandig, und viele leere Schneckenhäuser lagen umher:
kleine gelbliche Häuschen mit purpurner Spirale. Er schlug das Buch auf, ein
Bestiarium mit Namen Liber de Natura Quorundam Animalium, und zeigte
ihnen, daß es auf jeder Seite Bilder hatte.
Auf ihr Geheiß hin mußte er die pergamentenen Seiten mit
der schönen gotischen Schrift schnell umblättern. Sie überschlugen die hübschen
Greife, Bonnacons, Cocodrills, Manticores, Chaladrii, Cinomulgi, Sirenen,
Peridexions, Drachen und Aspidochelones. Vergebens rammte die Antilope ihr
kompliziertes Gehörn in den Tamariskenstamm (wodurch sie für die Jäger eine
leichte Beute wurde). Vergebens plusterte das Bonnacon sich auf, um seine
Verfolger zu verwirren. Die
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