Der König auf Camelot
der Rüstkammer richtige Saufedern entwendet, so daß sie angemessen
gewappnet waren.
»Dies Mädchen«, sagte Agravaine, »ist meine Mutter. So
hat’s unsere Mami gestern gemacht. Und ich werd’ Sir Grummore sein.«
»Ich bin Pellinore.«
»Agravaine kann Grummore sein, wenn er will, aber der Köder
muß alleingelassen werden. So steht’s geschrieben.«
»Ach, Master Gawaine, ach, Master Agravaine!«
»Hör auf zu jammern. Du vertreibst das Einhorn.«
»Und dann müssen wir weggehn und uns verstecken. Deshalb
hat unsere Mutter es nicht gefangen: weil die Ritter bei ihr geblieben sind.«
»Ich werd’ Finn MacCoul sein.«
»Und ich Sir Palomides.«
»Ach, Master Gawaine, laßt mich nicht allein, ich bitt’
Euch sehr.«
»Halt die Luft an«, sagte Gawaine. »Du bist ja dumm. Du
solltest stolz sein, der Köder sein zu dürfen. Unsere Mutter war’s, gestern.«
Gareth sagte: »Ist doch nicht so schlimm, Meg. Brauchst
nicht zu weinen. Wir werden schon dafür sorgen, daß es dir nichts tut.«
»Mehr als umbringen kann’s dich ja schließlich nicht«,
sagte Agravaine trocken.
Woraufhin das unglückliche Mädchen noch heftiger
schluchzte.
»Warum hast du das gesagt?« fragte Gawaine erzürnt. »Du
mußt immer allen Menschen Angst einjagen. Jetzt heult sie noch schlimmer.«
»Hör mal«, sagte Gareth. »Hör mal, Meg. Arme Meg, so wein
doch nicht. Wenn wir nach Hause gehn, darfst du auch mit meiner Schleuder
schießen.«
»Ach, Master Gareth!«
»Los, nun kommt schon. Wir können uns nicht mit ihr
aufhalten.«
»Auf denn!«
»Ach, ach!«
»Meg«, sagte Gawaine und zog eine Grimasse, »wenn du nicht
aufhörst zu jammern, seh’ ich dich so an.«
Sogleich trocknete sie ihre Tränen.
»Also«, sagte er, »wenn das Einhorn kommt, müssen wir alle
hervorpreschen und es erstechen. Habt ihr kapiert?«
»Müssen wir’s denn totmachen?«
»Ja, wir müssen’s mausetot machen.«
»Verstehe.«
»Hoffentlich tut’s ihm nicht weh«, sagte Gareth.
»So was sieht dir ähnlich«, sagte Agravaine.
»Ich seh’ aber nicht ein, weshalb wir’s töten müssen.«
»Damit wir’s heimschaffen können, du Dummkopf, zu unserer
Mutter.«
»Könnten wir’s nicht fangen?« fragte Gareth, »und zu
unserer Mutter führen? Was denkst du? Ich meine, Meg könnt’s führen, wenn’s
zahm wär’.«
Gawaine und Gaheris waren damit einverstanden.
»Wenn’s zahm ist«, sagten sie, »war’s besser, es lebend
nach Hause zu bringen. Das ist die edelste Form der Großwildjagd.«
»Wir könnten’s antreiben«, sagte Agravaine. »Wir könnten’s
mit Stöcken vorwärtstreiben. – Auch Meg könnten wir…«, ergänzte er
nachdenklich.
Dann versteckten sie sich in ihrem Hinterhalt und
beschlossen, still zu sein. Es war nichts zu hören – nur der sanfte Wind, die
Heidebienen, die Feldlerchen hoch droben, und ab und zu ein leises Schnöfeln
von Meg.
Als das
Einhorn kam, war alles anders denn erwartet. Zuerst einmal war es ein derart
edles Tier, daß alle von seiner Schönheit gebannt waren, die seiner ansichtig
wurden.
Das Einhorn war weiß; es hatte silberne Hufe und ein
anmutig geschwungenes perlfarbenes Hörn. Es bewegte sich leichtfüßig über die
Heide und schien das Kraut kaum niederzudrücken: so schwerelos kam es daher.
Das herrlichste waren seine Augen. Zu beiden Seiten der Nüstern zog sich eine
blaßblaue Vertiefung bis zu den Augenhöhlen hinauf und umgab sie mit einem
schwermütigen Schatten. Eingefaßt von diesem traurigen und schönen Dunkel,
wirkten die Augen so betrübt, einsam, gütig und tragischedel, daß sie jedwedes
Gefühl ersterben ließen, außer der Liebe.
Das Einhorn schritt zu Meg, der Küchenmagd, und neigte vor
ihr sein Haupt. Hierbei bog es formvollendet den Hals; das Perlhorn wies auf
die Erde zu ihren Füßen, und ein Silberhuf scharrte zur Begrüßung im Heidekraut.
Meg hatte ihre Tränen vergessen. Sie machte eine königliche Geste des Dankes
und hielt dem Tier ihre Hand hin.
»Komm, Einhorn«, sagte sie. »Leg deinen Kopf in meinen
Schoß, wenn du möchtest.«
Das Einhorn wieherte und scharrte neuerlich mit dem Huf.
Dann ließ es sich, sehr behutsam, zuerst auf ein Knie nieder und dann auf das
andere, bis es in regelrechter Verbeugung vor ihr verharrte. Aus dieser Haltung
blickte es mit seinen rührenden Augen zu ihr auf und legte schließlich seinen
Kopf auf ihr Knie. Es rieb seine flache weiße Wange an ihrem glatten Kleid und
sah sie flehentlich an. Das Weiße in seinen
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