Der König auf Camelot
Peridexions, die auf Bäumen saßen (was sie gegen
Drachen gefeit machte), blieben unbemerkt. Daß der Panther seinen
wohlriechenden Atem ausstieß, um seine Beute anzulocken, interessierte sie
nicht. Der Tiger, den man täuschen konnte, indem man ihm eine Glaskugel vor die
Füße warf (weil er sein Spiegelbild für seine Jungen hielt) – der Löwe, der auf dem Rücken liegende Männer
und Gefangene verschonte, hatte Angst vor weißen Hähnen und verwischte seine
Fährte mit einem gefächerten Schwanz – der Steinbock, der unbeschadet die Berge
herabspringen konnte, da er mit seinen geringelten Hörnern aufschlug – das
Yale, das seine Hörner wie Ohren bewegen konnte – die Bärin, die ihre Jungen
als formlose Klumpen zur Welt brachte und sie hernach zu beliebigen Gestalten
zurechtleckte – und der Chaladrius-Vogel, der einem anzeigte, daß man sterben
mußte, wenn er auf dem Bettgitter saß und einen ansah – die Igel, die Beeren
für ihre Nachkommenschaft sammelten, indem sie sich darauf wälzten und sie
aufgespießt ins Nest schafften – ja, sogar das Aspidochelone, ein großes walähnliches
Tier mit sieben Flossen und blödem Gesichtsausdruck, an dem man sein Schiff
vertäuen konnte, wenn man nicht achtgab und es für eine Insel hielt: sogar das
Aspidochelone machte ihnen kaum Eindruck. Endlich kam er zu der Stelle, die das
Einhorn zeigte, von den Griechen Rhinozeros genannt.
Es schien, als sei das Einhorn ebenso flink und ängstlich
wie die Antilope und könne nur auf eine einzige Art und Weise gefangen werden.
Man mußte ein Mädchen als Köder haben, und wenn das Einhorn sah, daß es allein
war, kam es unverzüglich herbei und legte ihm sein Horn in den Schoß. Das Bild
zeigte eine offenbar hinterhältige Jungfrau, die mit der einen Hand das Hörn
des armen Geschöpfes festhielt, während sie mit der anderen ein paar Speerträger
herbeiwinkte. Ihr doppeldeutiger Ausdruck wurde durch das alberne Vertrauen
aufgewogen, mit dem das Einhorn sie betrachtete.
Sobald sie die Instruktionen gelesen und das Bild verdaut
hatten, lief Gawaine los, um eilends das Küchenmädchen zu holen.
»Komm schon«, sagte er, »du mußt mit uns auf den Berg: wir
wollen ein Einhorn fangen.«
»Nein, Master Gawaine, nein«, rief die Maid, die er
erwischt hatte und die Meg hieß.
»Doch, du mußt. Du sollst der Köder sein. Dann kommt’s und
legt seinen Kopf in deinen Schoß.«
Meg begann zu weinen.
»Nun komm schon, sei nicht albern.«
»Ach, Master Gawaine. Ich möcht’ kein Einhorn. Ich bin ein
anständiges Mädchen, wirklich, und dann hab’ ich noch den ganzen Abwasch, und
wenn Mistress Truelove mich beim Rumbummeln ertappt, dann krieg’ ich eine mit
dem Stock, Master Gawaine, ganz bestimmt.«
Er packte sie bei den Zöpfen und zog sie hinaus.
In der reinen Moorluft der Bergeshöhen besprachen sie das
jagdliche Unternehmen. Meg, die unablässig
weinte, wurde an den Haaren festgehalten, damit sie nicht fortlief, und
wechselte gelegentlich den Besitzer: dann nämlich, wenn der Junge, der sie
gerade festhielt, beide Hände zum Gestikulieren brauchte.
»Also los«, sagte Gawaine. »Ich bin der Hauptmann. Ich bin
der Älteste, also bin ich der Hauptmann.«
»Hab’ ich mir gedacht«, sagte Gareth.
»Es kommt darauf an, so heißt es in dem Buch, daß der Köder
alleingelassen wird.«
»Dann rennt sie weg.«
»Rennst du weg, Meg?«
»Ja, bitte, Master Gawaine.«
»Siehst du.«
»Dann müssen wir sie festbinden.«
»Ach, Master Gaheris, habt Erbarmen. Muß ich wirklich
festgebunden werden?«
»Halt den Mund. Du bist bloß ein Mädchen.«
»Wir haben ja nichts, womit wir sie festbinden könnten.«
»Ich bin der Hauptmann, meine Helden, und ich befehle, daß
Gareth nach Hause läuft und einen Strick holt.«
»Das tu ich nicht.«
»Aber du machst alles zunichte, wenn du’s nicht tust.«
»Ich seh’ nicht ein, weshalb ich gehen soll. Ich hab’s mir
ja gedacht.«
»Dann befehle ich, daß unser Agravaine geht.«
»Ich nicht.«
»Laß Gaheris gehn.«
»Tu ich nicht.«
»Meg, verflixtes Mädchen: du darfst nicht weglaufen, hörst
du?«
»Ja, Master Gawaine. Aber, ach, Master Gawaine…«
»Wenn wir eine kräftige Heidewurzel fänden«, sagte
Agravaine, »dann könnten wir ihre Rattenschwänze dran festbinden.«
»Das werden wir tun.«
»Ach, ach!«
Nachdem sie die Jungfrau auf diese Weise angebunden hatten,
standen die vier Jungen um sie herum und diskutierten über die nächste Etappe.
Sie hatten aus
Weitere Kostenlose Bücher