Der König auf Camelot
»bringe ich ihn eigenhändig um.«
Sogleich legte sich die blaugeäderte Hand
auf seinen Arm.
»Genau dies dürft Ihr nie und nimmer tun,
Lanz. Was Mordred auch unternehmen mag – und sei es der Versuch, mich zu töten
–: Ihr müßt mir versprechen, stets im Auge zu behalten, daß er durch Blut und
Geburt gewissermaßen mein Erbe ist. Ich bin ein schlechter Mensch gewesen…«
»Arthur«, sagte die Königin laut, »so
etwas dürft Ihr nicht sagen. Es ist so lächerlich, daß ich mich wirklich
geniere.«
»Ihr würdet mich nicht einen schlechten
Menschen nennen?« fragte er überrascht.
»Natürlich nicht.«
»Aber ich hätte gedacht… nach der
Geschichte mit den Kindern…«
»Niemand«, rief Lanzelot aus, »niemand
käme auch bloß im Traum auf einen solchen Gedanken.«
Der König erhob sich, vom Widerschein des
Feuers umspielt; er blickte verwirrt und erfreut. Die Mutmaßung, daß er kein
schlechter Mensch sei, schien ihm lachhaft, doch er war dankbar für ihre Liebe.
»Wohl denn«, sagte er. »Ich werde also
nicht mehr so tun, als sei ich verderbt. Die Aufgabe eines Königs ist es,
Blutvergießen zu vermeiden – nicht, es zu provozieren.«
Wieder sah er sie an, unter seinen
Augenbrauen hervor.
»Dann also, meine Lieben«, schloß er
frohgemut, »werde ich zum Appelationsgericht eilen, um unsere berühmte
Gerechtigkeit zu praktizieren. Ihr bleibt hier bei Gin, Lanz, und heitert sie
auf nach dieser gräßlichen Geschichte – noch gibt’s einen, auf den Verlaß ist.«
KAPITEL 5
A1s Arthur sagte, daß er seine berühmte
Gerechtigkeit praktizieren wolle, hatte er nicht gemeint, daß er wirklich zu
Gericht sitzen werde. Könige saßen zwar im Mittelalter persönlich zu Gericht,
sogar noch zu Zeiten des sogenannten Henry IV. der sowohl im Finanztribunal als
auch im Oberhofgericht gesessen haben soll. An diesem Abend aber war es für
richterliche Entscheidungen zu spät. Arthur ging, die Einsprüche für den
kommenden Tag zu lesen; eine Tätigkeit, der er gewissenhaft oblag. Dem ›Gesetz‹
galt nunmehr sein Hauptinteresse – mit ihm unternahm er seinen letzten Versuch,
gegen Macht und Gewalt anzugehen.
Zu Zeiten Uther Pendragons hatte es keine
nennenswerten Gesetze gegeben, ausgenommen eine kindische und einseitige Art
von Etikette, die den oberen Klassen vorbehalten war. Sogar noch jetzt, da der
König die Rechtsprechung ermuntert hatte, darauf zu achten, daß die Macht der Fort
Mayne ein für allemal gebändigt werde, gab es drei verschiedene Arten von
Recht, mit denen man sich abquälen mußte. Er versuchte, sie zu komprimieren;
aus dem Gewohnheitsrecht, dem Kanonischen Recht und dem Römischen Recht wollte
er einen einzigen Kodex machen, der ›Zivilrecht‹ heißen sollte. Diese Aufgabe
war es – neben der Lektüre der Einsprüche – , was ihn jeden Abend in die Abgeschiedenheit
des Gerichtssaales rief.
Der Gerichtssaal befand sich am anderen
Ende des Palastes. Er war nicht so leer, wie er eigentlich hätte sein sollen.
Obwohl fünf Personen in dem Raum waren,
die auf den König warteten, hätte ein Besucher von heute vielleicht zuerst die
Örtlichkeit an sich beachtet. Das Überraschende daran war, daß die
Hängeteppiche den Raum quadratisch machten. Es war Nacht, die Fenster waren
also verdeckt; die Türen blieben immer verhängt. Das Ergebnis: man fühlte sich
wie in einer Kiste. Man hatte das seltsame Empfinden, sich in einem
symmetrischen Gehäuse zu befinden – ein Schmetterling, eingesperrt im
Tötungsfläschchen, mag ähnlich empfinden. Fassungslos, als stünde man vor einem
chinesischen Rätselspiel, fragte man sich, wie die fünf Personen überhaupt hier
hereingekommen sein mochten. An allen Wänden ringsum, vom Boden bis zur Decke,
in Doppelreihen, wurden die Geschichten von David und Bathseba, von Susanna und
den beiden Alten erzählt, in bewegten Bildern, deren frohe Farben in satten,
kräftigen Tönen leuchteten. Das verblaßte Zeug, das wir heutzutage sehen, hat
keinerlei Verwandtschaft mit der strahlenden Festlichkeit der Tapisserien, die
den Gerichtssaal zur bunten Wunderkiste machten.
Die fünf Männer funkelten im Kerzenlicht. Es
gab kaum Mobiliar, das den Blick von ihnen hätte ablenken können – nur einen
langen Tisch, auf dem die Pergamente zur Inspektion durch den König
bereitlagen, den erhöhten Königsstuhl und, in der Ecke, ein hohes Lesepult mit
dazugehörigem Sitz. Die Farben des Raumes befanden sich an den Mauern und an
den Männern.
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