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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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ist doch ein erstaunliches Ding! Die eine Hälfte versucht es
hochzuschieben, die andere Hälfte will es niederziehen. Ex nihilo res fit. * Und schaut Euch diese Schachfiguren an! Tatsächlich, schachmatt! Ach was, da
versuchen wir es noch mal… «
    Man steile sich einen rostigen Riegel an einer
Gartentür vor, der falsch angebracht worden war, vielleicht hat sich inzwischen
auch die Tür in den Scharnieren gesenkt, und seit Jahren ließ sich dieser
Riegel nicht mehr richtig schließen es sei denn, man hämmerte dagegen, oder man
hob die Tür ein bißchen und schob ihn mit Anstrengung an seinen Platz. Dann
stelle man sich vor, der alte Riegel wird abgeschraubt, mit Schmirgelpapier
abgerieben, in Paraffin gebadet, mit feinem Sand poliert, großzügig geölt und
von einem geschickten Handwerker so gut montiert, daß er sich öffnet und
schließt auf Fingerdruck – auf den Druck einer Feder – fast könnte man ihn auf-
und zublasen. Und jetzt stelle man sich die Gefühle des Riegels vor. Es sind
Gefühle herrlichen Wohlbefindens, wie Genesende sie nach einem Fieber haben.
Der Riegel würde sich darauf freuen, hin- und hergeschoben zu werden, er würde
sich nach der Lust seiner leichten, erfolgreichen Bewegung sehnen.
     Denn das Glück ist nur ein Nebenprodukt der
Funktion, wie das Licht ein Nebenprodukt des elektrischen Stromes ist, der
durch die Drähte fließt. Wenn der Strom nicht richtig fließt, kommt kein Licht.
Deshalb findet keiner das Glück, der es um seiner selbst willen sucht. Der
Mensch muß vielmehr danach trachten, wie der funktionierende Riegel zu sein,
wie der ungehinderte Fluß der Elektrizität, wie der Rekonvaleszent, dessen
Augen, die so lange vor Kopfweh und Fieber in den Höhlen brannten und nur unter
Schmerzen bewegt werden konnten, jetzt so leicht von Seite zu Seite flitzen wie
saubere Fische in klarem Wasser. Die Augen funktionieren, der Strom
funktioniert, der Riegel funktioniert. Also leuchtet das Licht. Gut
funktionieren – das ist das Glück.
    »Nur langsam«, sagte Merlin. »Wir brauchen
schließlich keinen Zug zu erreichen.«
    »Keinen Zug?«
    »Ich bitte um Entschuldigung. So ähnlich pflegte
ein Freund von mir auf den menschlichen Fortschritt anzuspielen. Doch da Ihr
Euch nun besser zu fühlen scheint, sollten wir da nicht sofort aufbrechen?«
    »Auf der Stelle.«
    Ohne weitere Verzögerung hoben sie die Zeltklappe
und waren verschwunden. Den Falken unter seiner Haube ließen sie in der Obhut
des schlafenden Windhundes einsam zurück. Als der blinde Vogel die Zeltklappe
hörte, schrie er in heiseren Lauten um Beachtung.
    Es war für beide ein erfrischender Spaziergang. Ihr
rasches Tempo und der heftige Wind zogen ihre Barte rechts oder links über ihre
Schultern, da sie dem Sturm nicht direkt entgegengingen, und das verursachte an
den Haarwurzeln eine Spannung, als seien die Barte auf Lockenpapier gerollt.
Sie eilten über die Ebene von Salisbury, an dem zum Nachdenken anregenden
Monument von Stonehenge vorbei, wo Merlin im Vorübergehen den alten Göttern
Crom, Bel und den anderen, die Arthur nicht sehen konnte, einen Gruß zurief.
Sie wirbelten über Wiltshire, hasteten an Dorset vorbei und durchmaßen Devon so
rasch, wie ein Draht durch Käse schneidet. Die Ebenen, das gewellte Land, die
Wälder, Moore und Hügelchen blieben zurück. Die schimmernden Flüsse huschten
vorbei wie die Speichen eines sich drehenden Rades. In Cornwall hielten sie an;
sie waren bei einem alten Grabhügel, der aussah wie ein riesiger Maulwurfhaufen
und der an der Seite eine dunkle Öffnung hatte.
    »Wir gehen hinein.«
    »Ich bin hier schon einmal gewesen«, sagte der
König und stand wie erstarrt.
    »Ja.«
    »Wann?«
    »Wann meint Ihr?«
    Er durchforschte behutsam sein Gedächtnis und
spürte, daß die Erkenntnis in seinem Herzen war. Aber »Nein«, sagte er, »ich
kann mich nicht erinnern.«
    »Kommt und seht.«
    Sie gingen durch labyrinthische Korridore, an
Abzweigungen vorbei, die zu den Schlafzimmern rührten, zu den Müllgruben, zu
den Vorratsräumen und zu dem Ort, wo man sich die Hände waschen konnte.
Schließlich blieb der König mit den Fingern auf der Türklinke am Ende eines
Ganges stehen und verkündete: »Ich weiß, wo ich bin.« Merlin beobachtete ihn.
»Es ist der Dachsbau, den ich als Kind aufgesucht habe.«
    »Ja.«
    »Merlin, Ihr seid ein Schurke! Ich habe Euch ein
halbes Leben lang betrauert, weil ich dachte, Ihr wärt eingeschlossen wie eine
Kröte in einem Loch, und die ganze

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