Der König auf Camelot
gedacht. Doch natürlich übertreibt Ihr,
wenn Ihr sagt, er sei grausamer als ein Tiger.«
»Wirklich?«
»Ich habe immer festgestellt, daß Menschen im
allgemeinen nett und anständig waren…«
Merlin nahm seine Brille ab, seufzte tief, putzte
sie, setzte sie wieder auf und musterte seinen Schüler neugierig, als würden
ihm im nächsten Augenblick lange, weiche, pelzige Ohren wachsen.
»Versucht, Euch an Euren letzten Spaziergang zu
erinnern«, schlug er nachsichtig vor.
»Spaziergang?«
»Ja, an einen Spaziergang auf englischen Feldwegen.
Hier kommt Homo sapiens und erfreut sich an der Abendkühle. Stellt Euch
die Szene vor. Hier singt eine Amsel im Busch. Verstummt sie und fliegt mit
einem Fluch davon? Keineswegs. Sie singt noch lauter und setzt sich auf seine
Schulter. Hier mummelt ein Hase im kurzen Gras. Flieht er entsetzt in sein
Nest? Nicht im geringsten. Er hoppelt auf den Menschen zu. Hier sind die
Feldmaus, die Ringelnatter, der Fuchs, der Igel, der Dachs. Verbergen sie sich,
oder nehmen sie seine Gegenwart hin?
Warum«, rief der Alte plötzlich und glühte vor
einem seltsamen, alttestamentarischen Zorn, »gibt es nicht ein bescheidenes
Tier in England, das nicht vor dem Schatten des Menschen flieht wie die armen
Seelen aus dem Fegfeuer! Kein Säugetier, kein Fisch, kein Vogel. Dehnt Euren
Spaziergang aus, so daß er Euch an einem Flußufer vorbeiführt, und selbst der
Fisch wird davonflitzen, Es gehört schon etwas dazu, glaubt mir, in allen
Elementen, die es gibt, gefürchtet zu werden.
Und glaubt nicht«, fügte er rasch hinzu und legte
seine Hand auf Arthurs Knie, »glaubt nicht, daß sie voreinander fliehen würden.
Wenn ein Fuchs des Wegs käme, würde vielleicht der Hase davonlaufen; doch der
Vogel im Baum und die anderen ließen sich nicht stören. Wenn ein Falke
vorbeiflöge, würde sich vielleicht die Amsel verbergen; doch der Fuchs und die
anderen hätten nichts gegen seine Ankunft. Nur der Mensch, nur das eifrige
Mitglied der Gesellschaft zur Erfindung der Grausamkeit gegenüber Tieren, nur
er wird von jedem Lebewesen gefürchtet.«
»Aber diese
Tiere sind nicht eigentlich wild. Ein Tiger zum Beispiel…«
Wieder brachte
Merlin ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Verlegt den Spaziergang ins
dunkelste Indien«, sagte er, »wenn Ihr wollt. Da ist kein Tiger, keine Kobra,
kein Elephant im afrikanischen Dschungel, der vor dem Menschen nicht fliehen
würde. Ein paar Tiger, die vor Zahnschmerzen wahnsinnig sind, greifen ihn
vielleicht an, und wenn die Kobra genug gequält worden ist, kämpft sie zur
Selbstverteidigung. Doch wenn ein normaler Mensch einen normalen Tiger auf
einem Dschungelpfad trifft, dann ist es der Tiger, der ausweicht. Die einzigen
Tiere, die vor dem Menschen nicht davonlaufen, sind jene, die ihn nie gesehen
haben, die Robben, Pinguine, Dodos oder Wale der arktischen Meere, und die
werden folglich sofort bis an die Grenze der Ausrottung reduziert. Selbst die
wenigen Kreaturen, die den Menschen als Beutetier betrachten, die Mücke und der
schmarotzende Floh – selbst sie ängstigen sich vor ihrem Wirt und hüten sich
davor, ihm zwischen die Finger zu geraten.
Homo ferox «, fuhr Merlin fort und schüttelte den Kopf,
»diese Seltenheit in der Natur, ein Tier, das zum Vergnügen tötet! Jedes Tier
in diesem Raum verschmäht das Töten, es sei denn, es ginge um eine Mahlzeit.
Der Mensch neigt dazu, über den Würger entrüstet zu sein, der sich einen
kleinen Vorrat an Schnecken und ähnlichem auf Dornen spießt; doch seine eigene
gut bestückte Vorratskammer ist von Herden bezaubernder Wesen umgeben wie dem
verträumten Rind und dem Schaf mit seinem intelligenten und empfindsamen
Gesicht. Sie werden nur gehalten, um kurz vor ihrer Reife geschlachtet und von
ihrem fleischfressenden Hirten verschlungen zu werden, dessen Zähne noch nicht
einmal die eines Fleischfressers sind. Ihr solltet Lambs Brief an Southey lesen
über das Backen lebender Maulwürfe und die Jagd auf Junikäfer und Katzen in
Blasen und das Kräuseln von Rochen und über Angler, diese ›schwächlichen
Auslöser unerträglicher Schmerzen‹. Homo ferox , der Erfinder der
Grausamkeit gegenüber Tieren, der Fasane unter ungeheuren Kosten züchtet um des
Vergnügens willen, sie zu töten; der sich die Mühe macht, andere Tiere aufs
Töten zu dressieren; der lebende Ratten verbrennt, wie ich es in Eriu gesehen
habe, damit ihre Schreie die Nagetiere der Gegend einschüchtern; der gewaltsam
die Leber von
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