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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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erkundete er
die Geröllwüste. Einerseits sträubte er sich dagegen, den Ort aufzusuchen, von
dem die Befehle kamen, andererseits behagte ihm die Enge nicht. Er fand kleine
Pfade zwischen den Gesteinsblöcken, ziellose und zugleich zweckgerichtete
Wanderwege, die zum Vorratslager führten sowie in verschiedene andere
Richtungen, die ihm nicht klar waren. Einer dieser Pfade endete an einer
Erdscholle mit einer natürlichen Höhlung darunter. In dieser Höhle entdeckte er
– auch hier wieder das seltsame Phänomen ziellosen Zwecks – zwei tote Ameisen.
Sie waren ordentlich hingelegt worden, aber auch wieder unordentlich, so, als
habe eine sehr ordentliche Person sie hergeschafft und unterwegs den Sinn des
Unternehmens vergessen. Sie waren zusammengerollt und schienen weder froh noch
traurig darüber zu sein, daß sie nun tot waren. Sie lagen einfach da, wie ein
paar Stühle.
    Während er noch die beiden Leichen
betrachtete, kam eine lebende Ameise den Pfad herab; sie trug eine dritte. Sie
sagte: »Heil, Sanguinea!« Der König sagte höflich Heil.
    In einer Hinsicht hatte er, ohne es zu
wissen, großes Glück. Merlin nämlich hatte nicht vergessen, ihm den richtigen
Geruch für dieses besondere Nest mitzugeben – hätte er nach einem anderen Nest
gerochen, wäre er auf der Stelle getötet worden. Wenn Miß Edith Cavell, die kühne,
in Belgien von den Besatzern hingerichtete Krankenschwester, eine Ameise
gewesen wäre, hätte man auf ihr Denkmal schreiben müssen:
     
    geruch genügt nicht.
     
    Die hinzukommende Ameise legte den Kadaver
sorglos nieder und zerrte dann die beiden anderen hierhin und dorthin. Sie
schien nicht zu wissen, wohin sie gehörten.
    Nein, eher so: Sie wußte zwar, daß eine
gewisse Ordnung gefordert war, nur wußte sie nicht, wie diese zu
bewerkstelligen sei. Das Ganze glich der Situation eines Mannes, der in der
einen Hand eine Teetasse hält und in der anderen ein Sandwich – und der sich
nun mit einem Streichholz eine Zigarette anzünden will. Wo aber der Mann auf
die Idee kommen würde, Tasse und Sandwich abzustellen und hinzulegen, ehe er
die Zigarette und das Streichholz aufnimmt – da hätte diese Ameise das Sandwich
hingelegt und das Streichholz aufgenommen; dann wäre das Streichholz unten
gewesen und die Zigarette oben; und schließlich hätte sie das Sandwich
hingelegt und das Streichholz aufgehoben. Sie mußte sich auf eine Serie von
schieren Zufällen verlassen, um ihr Ziel zu erreichen. Sie hatte Geduld und
dachte nicht. Als sie die drei toten Ameisen in verschiedene Richtungen gezerrt
hatte, lagen sie schließlich und endlich in einer Reihe unter der Erdscholle,
und das war ihre ganze Aufgabe.
    Der König beobachtete erstaunt das
Hin-und-her-Arrangieren. Zuerst wunderte er sich, dann ärgerte er sich, und zum
Schluß wurde er wütend. Am liebsten hätte er gefragt, weshalb sie sich die
Sache nicht vorher überlege. Er hatte das bedrückende Gefühl, das einen
überkommt, wenn man zusehen muß, wie eine Arbeit täppisch angefaßt wird. Später
hätte er gern mehrere Fragen gestellt, zum Beispiel: »Bist du gern
Totengräber?« oder »Bist du ein Sklave?« oder gar: »Bist du glücklich?« Das Sonderbare
war, daß er diese Fragen nicht stellen konnte. Um sie stellen zu können, hätte
er sie in Ameisensprache formulieren und durch seine Antennen-Fühler aussenden
müssen – und mit einem Gefühl der Hilflosigkeit entdeckte er jetzt, daß es für
die meisten Dinge, die er sagen wollte, keine Wörter gab. Es gab keine Wörter
für Glück, für Freiheit, für Neigung – und keine Wörter für das jeweilige Gegenteil.
Er kam sich vor wie ein Taubstummer, der ›Feuer‹ rufen möchte. Nicht einmal
›richtig‹ oder ›falsch‹ konnte er hinlänglich ausdrücken – es wurde nur ein
›getan‹ oder ›nicht getan‹ daraus. Die Ameise hörte auf, mit den Leichen
herumzuwirtschaften, und wandte sich zum Gehen; die Toten blieben in der
seltsamen und zufälligen Ordnung liegen. Da stellte sie fest, daß Arthur ihr im
Wege war, also hielt sie inne und bewegte ihre Funk-Antennen auf ihn zu, als
wäre sie ein Panzer. Mit ihrem stummen, drohenden Helm-Gesicht und ihrer
Haarigkeit und den spornähnlichen Dingen an ihren vorderen Beingelenken wirkte
sie allerdings eher wie ein Gewappneter auf einem gepanzerten Schlachtroß –
oder wie eine Kombination von beidem: ein haariger Kentaur in voller Rüstung.
Wieder sagte sie: »Heil, Sanguinea.«
    »Heil.«
    »Was tust du?«
    Der König

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