Der König auf Camelot
hatte er wahllos seine Vergnügen gefunden. Seine Aufmerksamkeit, sein
Sinn für das Schöne oder wie man es auch nennen mochte, hatte sich zufällig
Absonderlichkeiten zugewandt. Während Archimedes ihm einen Vortrag über den
Vogelflug hielt, hatte er vielleicht bestaunt, wie sich das Mäusefell unter den
Eulenklauen sträubte. Oder der große Mr. M. hielt ihm eine Rede über Diktatur,
während er die ganze Zeit nur die knochigen Zähne sah und sie in einer Ekstase
des Erfahrens anstarrte.
Das, seine Fähigkeit zum Staunen, hatte er
verloren, so gut Merlin auch sein Gehirn aufgefrischt haben mochte. Er hatte es
eingetauscht – wahrscheinlich für die Fähigkeit der Unterscheidung. Jetzt hätte
er Archimedes oder Mr. M. zugehört. Er hätte nie den grauen Pelz oder die
gelben Zähne bemerkt. Er war nicht stolz auf die Veränderung. Der alte Mann
gähnte – denn Ameisen gähnen und recken sich, genau wie Menschen nach dem
Schlaf –, und danach konzentrierte er sich auf die bevorstehende Aufgabe. Er
freute sich nicht, eine Ameise zu sein, wie er sich früher über die Verwandlung
gefreut hätte, er dachte nur: Also gut, es ist eine Arbeit, die ich erledigen
muß. Wie fängt man damit an?
Die Nester waren so entstanden, daß man
Erde in einer dünnen Schicht, kaum einundeinviertel Zentimeter dick, auf kleine
Tische wie Schemel gestrichen hatte. Dann wurde auf jede Erdschicht eine
Glasscheibe gelegt mit einem Stück Stoff darüber, das die Kinderstuben
verdunkelte. Wenn man den Stoff entfernte, konnte man in die unterirdischen
Kammern sehen wie bei einem Querschnitt. In die runde Kammer, wo die Larven
versorgt wurden, schaute man hinein wie in ein Konservatorium mit einem
Glasdach.
Die eigentlichen Nester waren am Ende der
Schemel und wurden nur halb vom Glas bedeckt. Vorn waren Erdböschungen unter
freiem Himmel, und am anderen Ende jedes Schemels standen die Uhrengläser, in
denen der Sirup als Nahrungsvorrat aufbewahrt wurde. Zwischen den beiden
Nestern gab es keine Verbindung. Die Schemel standen getrennt, zwar
nebeneinander, doch ohne Berührungspunkte, mit den Beinen in den Untertassen.
Natürlich kam es ihm jetzt überhaupt nicht so vor. Die Gegend, in der er sich
befand, wirkte wie ein großes Geröllfeld mit einer abgeflachten Festung am
Ende. In die Festung gelangte man durch Tunnel, und über dem Eingang zu jedem
Tunnel hing ein Schild mit der Aufschrift:
alles nicht verbotene ist pflicht
durch neuen befehl
Er las die Bekanntmachung mit Mißfallen,
wenngleich er ihre Bedeutung nicht verstand. Er dachte: Ich werd’ mich ein
wenig umsehn, eh ich hineingehe. Aus irgendeinem Grunde schreckte ihn die
Inschrift ab; sie ließ den grobgehauenen Tunnel unheimlich erscheinen.
Bedächtig ließ er seine Fühler spielen, überdachte die Bekanntmachung,
vergewisserte sich seiner neuen Sinne und stellte sich bereit, als wolle er in
der neuen Welt festen Fuß fassen. Mit den Vorderbeinen säuberte er seine
Fühler, strählte und glättete sie, so daß er aussah wie ein viktorianischer
Schurke, der seinen Schnurrbart zwirbelt. Dann wurde ihm etwas bewußt, das
darauf gewartet hatte, bemerkt zu werden: In seinem Kopf war ein bestimmtes
Geräusch. Es war entweder ein Geräusch, oder aber ein komplizierter Geruch, und
am leichtesten ist es zu erklären, wenn man sagt, daß es so etwas wie eine
drahtlose Funkübertragung war. Seine Fühler dienten als Antennen. Die Musik
hatte einen monotonen Rhythmus, wie einen Pulsschlag, und die Wörter, die damit
einhergingen, lauteten etwa: Hund – bunt – rund – Mund, oder: Mammy – Mammy –
Mammy, oder: Immer – nimmer, oder: Blau – trau – schau. Zuerst gefiel’s ihm,
besonders das Wall – Hall – All, bis er merkte, daß es keine Abwechslung gab.
Sobald sie einmal erklungen waren, fingen sie wieder von vorne an. Nach ein
oder zwei Stunden wurde ihm wirklich komisch zumute.
In den Pausen zwischen der Musik war auch
eine Stimme in seinem Kopf, die Anweisungen zu geben schien. »Alle
Zwei-Tage-Alten werden in die Westhalle transportiert«, hieß es, oder: »Nummer
210.397/WD meldet sich beim Siruptrupp und ersetzt 333.105/WD, die aus dem Nest
gefallen ist.« Es war eine klangvolle Stimme, doch wirkte sie unpersönlich, als
sei ihr Charme angelernt und eingeübt wie ein Zirkustrick. Sie war tot. Der
König – oder vielleicht sollten wir ›die Ameise‹ sagen – entfernte sich von der
Festung, sobald seine Beine des Gehens mächtig waren. Ängstlich
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