Der König auf Camelot
Hand.
KAPITEL 9
Nachmittags wanderte eine schwarzeAmeise über die neue Brücke; es war
eine der unseligen fuscae, einer bescheidenen Rasse, die nur zur
Selbstverteidigung kämpft. Sie stieß auf eine der Straßenreinigungs-Ameisen und
wurde auf der Stelle ermordet. Die Rundfunksendungen änderten sich sogleich,
als diese Nachricht bekannt geworden war – und sobald spionierende Späher
entdeckt hatten, daß sich im fusca -Nest ebenfalls ein Sirupglas befand.
Statt ›Mammy-Mammy-Mammy‹ ertönte
›Ameisenland, Ameisenland über alles‹, und die Flut der Anordnungen wurde
zugunsten von Vorträgen über den Krieg, über Patriotismus und die
wirtschaftliche Lage unterbrochen. Die klangvolle Stimme teilte mit, daß ihre
geliebte Heimat von Horden gemeiner fuscae umzingelt sei – woraufhin der
Rundfunkchor sang:
Wenn fusca- Blut
vom Messer spritzt,
Dann ist die Sache
schon geritzt.
Auch wurde erklärt, die Ameisen-Mutter in
ihrer unerschöpflichen Weisheit habe verfügt, daß schwarze Ameisen immer die
Sklaven der roten sein müßten. Ihr geliebtes Land habe gegenwärtig nicht einen
Sklaven, ein schimpflicher Zustand, dem abgeholfen werden müsse, wenn die
Herrenrasse nicht untergehen sollte. Eine dritte Verlautbarung besagte, das
Nationaleigentum der Sanguinea sei bedroht: Ihr Sirup sei in Gefahr, ihre
Haustiere, die Käfer und Blattläuse, sollten entführt werden, und dem
Kommunemagen stehe eine Hungersnot bevor. Zweien dieser Rundfunksendungen hörte
der König gut zu, so daß er sie später wiedergeben konnte. In der ersten wurde
folgendermaßen argumentiert:
A. Wir sind so zahlreich, daß wir Hunger
leiden.
B. Daher müssen wir mehr Kinder gebären,
damit wir noch zahlreicher und hungriger werden.
C. Wenn wir so zahlreich und hungrig
geworden sind, gebührt uns offensichtlich das Recht, den Sirup anderer Völker
in Besitz zu nehmen. Außerdem haben wir dann ein zahlreiches und hungriges
Heer.
Erst als dieser logische Gedankengang in
die Tat umgesetzt worden war und alle Kinderstuben die dreifache Menge
Nachwuchs produzierten (während beide Nester von Merlin reichlich mit Sirup
versorgt wurden) – man muß ja zugeben, daß hungernde Nationen nie ganz so
verhungert zu sein scheinen, als daß sie sich nicht weitaus kostspieligere
Rüstungen als alle anderen leisten könnten –, da erst begann man mit der
zweiten Art von Vorträgen. Der zweite Typ lautete wie folgt:
A. Wir sind zahlreicher als sie,
demzufolge haben wir ein Anrecht auf ihren Sirup.
B. Sie sind zahlreicher als wir, daher
versuchen sie niederträchtigerweise, unseren Sirup zu stehlen.
C. Wir sind eine mächtige Rasse und haben
das natürliche Recht, ihre schwächliche zu unterjochen.
D. Sie sind eine mächtige Rasse und wollen
unsere harmlose unnatürlicherweise unterjochen.
E. Wir müssen sie in Selbstverteidigung
angreifen.
F. Sie greifen uns an, indem sie sich
selbst verteidigen.
G. Wenn wir sie heute nicht angreifen,
werden sie uns morgen angreifen.
H. Auf keinen Fall greifen wir sie an. Wir
bieten ihnen unschätzbare
Vorteile.
Nach der zweiten Art von Sendungen
begannen die Gottesdienste. Sie stammten, wie der König entdeckte, aus einer
derart weit zurückliegenden phantastischen Vergangenheit, daß er kaum ein Datum
dafür nennen konnte, aus einer Epoche, wo noch nicht alle Ameisen sich zum
Sozialismus bekannt hatten. Die Rituale entstammten einer Zeit, als die Ameisen
noch mehr wie Menschen waren, und einige dieser Gottesdienste waren höchst
eindrucksvoll.
Ein Psalm zum Beispiel begann (wenn wir
die Verschiedenartigkeit der Sprache außer acht lassen) mit den bekannten
Worten: »Die Erde ist dem Schwerte Untertan, und alles, was auf ihr ist, dem
Kompaß der Bomber und denen, die da bombardieren…« und endete mit dem
erschrecklichen Schluß: »Fliegt in die Luft, oh, ihr Tore, lasset euch in die
Lüfte sprengen, ihr unerschütterlichen Türen, auf das Einlaß finde der König
der Tories. Wer ist der König der Tories? Der Herr der Geister, er ist der
König der Tories.«
Merkwürdig war, daß die gewöhnlichen
Ameisen von den Liedern nicht erregt wurden, auch den Vorträgen kein Interesse
schenkten. Sie akzeptierten sie als etwas Gegebenes. Für sie waren das eher
Rituale – wie die Mammy-Lieder oder die Gespräche über ihre geliebte Führerin.
Sie sahen derlei Dinge nicht als gut oder schlecht, als aufregend, vernünftig
oder entsetzlich. Sie sahen sie überhaupt
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