Der König auf Camelot
auf die vor ihnen liegenden Familienferien. Die letzte Strecke
glitten sie mit niedergebogenen Schwingen dahin. Im allerletzten Moment
flatterten sie heftig, peitschten die Luft. Dann – plumps – waren sie auf dem
Boden. Einen Augenblick lang hielten sie die Flügel über den Köpfen, dann legten
sie sie flink und akkurat zusammen. Sie hatten die Nordsee überflogen.
KAPITEL 15
Einige tage später erreichten sie das
sibirische Sumpfland;
es war eine Schale voller Sonnenlicht. Die Berge hatten sich ein Filigran von
Schnee bewahrt, der, als er schmolz, in kleinen Bächen herunterschäumte wie
Ale. Die Seen glitzerten unter Mückenwolken, und zwischen den verkrüppelten
Birken an ihren Ufern wanderte das liebenswerte Rentier neugierig umher,
schnupperte an den Gänsenestern und wurde von den Gänsen angezischt. Lyo-lyok
ließ sich sofort nieder, um ihre Kinderstube einzurichten – obwohl sie ja unverheiratet
war; und der König hatte Zeit, nachzudenken.
Er war ein unkritischer Mann, gewiß kein
verbitterter. Der Verrat, dem er durch seine menschliche Rasse ausgesetzt
gewesen war, hatte gerade erst begonnen, ihn niederzudrücken. Er hatte es sich
selbst nie so direkt zugegeben; doch die Wahrheit war, daß alle ihn betrogen
hatten, sogar seine eigene Frau und sein ältester Freund. Sein Sohn war der
Geringste unter den Verrätern. Seine Tafelrunde hatte sich gegen ihn gekehrt,
zumindest die Hälfte davon, ebenso die Hälfte des Landes, für das er sein Leben
lang gearbeitet hatte. Jetzt baten sie ihn, seinen Dienst für die Verräter wieder
aufzunehmen, und endlich wurde ihm zum ersten Mal klar, daß das sein Ende
bedeuten würde. Denn welche Hoffnung gab es für ihn unter den Menschen? Sie
hatten fast regelmäßig jede anständige Person umgebracht, die seit Sokrates’
Zeiten zu ihnen gesprochen hatte. Sogar ihren Gott hatten sie umgebracht.
Jeder, der ihnen die Wahrheit sagte, war das legitime Opfer ihrer Niedertracht,
und Merlins Spruch über ihn war das Todesurteil.
Doch hier, erkannte er, bei den Gänsen,
für die Mord und Verrat Obszönitäten waren, hier war er glücklich und entspannt.
Hier konnte ein Mensch mit einem Herzen guter Hoffnung sein. Manchmal spürt ein
müder Mann, der eine religiöse Berufung zum Mönch hat, eine richtige Sehnsucht
nach dem Kloster, nach dem Ort, wo er seine Seele entfalten kann wie eine Blume
und seiner Idee vom Guten entgegenwachsen darf. Das war es, was der alte Mann
mit einem plötzlichen Begehren empfand, nur daß sein Kloster der sonnengetränkte
Sumpf war. Er wollte mit dem Menschen nichts mehr zu tun haben, wollte sich in
Ruhe niederlassen.
Zum Beispiel, sich mit Lyo-lyok
niederlassen: ihm schien, einem erschöpften Geist könne Schlimmeres begegnen.
Nachdenklich begann er sie mit den Frauen zu vergleichen, die er gekannt hatte,
und das war nicht immer zu ihrem Nachteil. Sie war gesünder als die anderen,
sie hatte nicht deren Migränen, Launen und hysterische Anfälle. Sie war so
gesund wie er, ebenso stark, eine ebensogute Fliegerin. Alles, was er tun
konnte, konnte sie auch, so daß ihre Interessengemeinschaft vollkommen wäre.
Sie war sanftmütig, gescheit, treu, mitteilsam. Sie war sehr viel reinlicher
als die meisten Frauen, weil sie den halben Tag im Wasser verbrachte und die
andere Hälfte damit, sich zu putzen, und ihre Züge waren von keinem Tupfer
Schminke verunziert. Sobald sie einmal verheiratet war, würde sie keine weiteren
Liebhaber erhören. Sie war schöner als die Durchschnittsfrau, weil sie eine
natürliche Gestalt statt einer künstlichen hatte. Sie war anmutig und
watschelte nicht, denn die Wildgänse gehen leicht, und er hatte gelernt, ihre
Fiederung hübsch zu finden. Sie würde eine liebevolle Mutter sein.
In seinem alten Herzen spürte er ein
warmes Gefühl für Lyo-lyok, auch wenn wenig Leidenschaft dabei war. Er
bewunderte ihre kräftigen Beine mit dem Knubbel darauf und ihren gut
geschnittenen Schnabel. Er hatte Zacken wie Zähne und eine große Zunge, die ihn
zu füllen schien. Der König mochte es, daß sie nie in Eile war.
Sie widmete sich begeistert dem Nestbau,
den er deshalb mit Vergnügen beobachtete. Es war kein architektonischer
Triumph, aber doch das, was gebraucht wurde. Sie war heikel gewesen mit der
Auswahl des Graspolsters, und als der Standort endlich entschieden war, hatte
sie die torfige Höhlung – sie glich weichem, feuchtem, braunem und zerdrücktem
Löschpapier oder dem Sägemehlboden
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