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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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Menschen haben das
vergessen. Wenn man jedoch unsere Vergnügungen mit Schmuck und Reichtümern
vergleicht, sind sie nicht so spärlich, wie es scheinen mag. Wir haben ein
Lied, das sie besingt, es heißt ›Des Lebens beste Gabe.‹«
    »Sing es mir vor.«
    »Gleich. Zuvor muß ich noch sagen, daß ich
in diesem Lied eine gute Gabe immer vermißt habe. Es geht hier um die Freuden
der Gänse, und niemand erwähnt das Reisen. Das finde ich dumm. Wir reisen
hundertmal weiter als die Menschen und sehen so interessante Dinge und erleben
ständig soviel Abwechslung und soviel Schönes, Neues, daß ich nicht verstehen
kann, wieso der Dichter das vergessen hat. Stell dir vor, meine Großmutter war
in Micklegarth; ich hatte einen Onkel, der in Burma gewesen war; und Urgroßvater
erzählte immer gern, daß er Cuba besucht hat.«
    Da der König wußte, daß Micklegarth der
skandinavische Name für Konstantinopel war, während er von Burma nur durch T.
natrix gehört hatte und Cuba überhaupt noch nicht entdeckt war, zeigte er sich
entsprechend beeindruckt.
    »Reisen«, sagte er, »muß himmlisch sein.«
Er dachte an die schönen Schwingen und an die Lieder vom Fliegen und an die
Welt, die immer neu und wieder neu unter ihren Flügeln dahinströmte. »Das ist
das Lied«, sagte sie ohne weitere Einleitung und sang es anmutig nach einer
Wildgänse-Melodie:
     
     
    des lebens beste
gabe *
     
    Kaio antwortete: Gesundheit ist des Lebens
beste Gabe:
    Watschelfuß, Federweiß, Lockerhals,
    Lackknopfaug,
    Sie besitzen den Reichtum dieser Welt.
     
    Der würdige Ank drauf: Die Ehre ist unser
Alles:
    Pfadfinder, Volksspeiser, Zukunftsplaner,
    weise Gebieter,
    Sie vernehmen ihren hohen Ruf.
     
    Lyo-lyok die Lockere sprach: Liebe wäre
mir lieber:
    Daunenweich, Zärteltritt, Warmnestchen,
    Trippeltraps,
     Sie leben für immer.
     
    Aahng-ang war fürsSchmausen: Ha,
rief er, Essen!
    Morchelmampf, Grüngraps, Nesselschling,
    Nudelschluck,
    Sie lassen sich’s schmecken.
     
    Wink-wink pries Kameraden, die schöne
freie Kumpanei:
    Staffelstern, Spitzflitzer, Fitzepfeil,
    Wolkenzisch,
    Sie lernen Ewigkeit.
     
    Doch ich, Lio, wählte das Dichten, ein
Stürmer und Dränger:
    Horngetön, Lachen, Lied, Helden-Herz,
    Narr-die-Welt:
    Sprach Lio, der Sänger.
     
    Mit ihrem sanften Ernst gesungen, dachte
er, war es ein herrliches Lied. Er begann, die Gaben, die sie erwähnt hatte, an
seinen Zehen abzuzählen; doch da er vorn nur drei hatte und hinten eine Art
Knoten, mußte er zwei Runden zählen. Reise, Gesundheit, Ehre, Liebe, Appetit,
Kameraden, Musik, Poesie und, wie sie gesagt hatte, das Leben selbst.
    In ihrer Einfachheit war das keine
schlechte Liste, zumal sie noch etwas wie Weisheit hätte anführen können.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    KAPITEL 14
     
     
    In den vogelscharen machte sich wachsende
Erregung bemerkbar. Die jungen Gänse flirteten heftig oder versammelten sich in
Gruppen, um über ihre Lotsen zu diskutieren. Auch spielten sie Spiele, wie
Kinder es tun, denen eine aufregende Party bevorsteht. Bei einem dieser Spiele
wurde ein Kreis gebildet, in den, einer nach dem anderen, die jüngeren Ganter
stolzierten, gereckten Halses und spielerisch zischend. Hatten sie den Kreis zur
Hälfte durchschritten, fingen sie zu laufen an und schlugen mit den Flügeln.
Hiermit wollten sie zeigen, wie tapfer sie seien und was für ausgezeichnete
Admirale sie abgeben würden, sobald sie erwachsen wären. Auch eigneten sie sich
die eigentümliche Sitte an, mit dem Schnabel zu schlenkern, wie es vor dem
Fluge üblich war. Die Alten und Weisen, welche die Vogelfluglinien kannten,
wurden ebenfalls ruhelos. Sie behielten die Wolkenformationen klug im Auge,
taxierten Windstärke und -richtung. Die Admirale schritten, stolz die Bürde
ihrer Verantwortung tragend, mit gewichtigem Schritt auf ihren Achterdecks
einher.
    »Warum bin ich unruhig?« fragte er. »Wieso
habe ich dies sonderbare
Gefühl?«
    »Wart’s ab«, sagte sie geheimnisvoll.
»Morgen, vielleicht, oder übermorgen…«
    Und ihre Augen schauten träumerisch, mit
einem Blick aus
weiter Ferne und aus alter Zeit.
     
    Als der Tag kam, war alles verändert:
Salzmarsch und Schlamm und Schlick. Der ameisenhafte Mann, der jeden Morgen so
geduldig zu seinen langen Netzen hinausgestapft war – und die Tide im Kopf
hatte, denn ein Irrtum in der Zeit bedeutete den sicheren Tod –, der hörte
Signale am fernen Himmel. Er sah nicht mehr Tausende auf den Moorflächen, und
keine

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