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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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einzige war auf den Weidegründen, von denen er kam. Auf seine Art war er
ein netter Mensch – denn er blieb stehen und nahm feierlich seinen Lederhut ab.
Das tat er fromm in jedem Frühjahr, wenn die Wildgänse ihn verließen, und in
jedem Herbst, wenn er das erste Gackern der Heimreisenden hörte.
     
    Wie weit ist es über die Nordsee? Auf
einem Dampfer braucht man zwei oder drei Tage, um dieses quabblig-quaddernde
Gewässer zu überqueren. Für die Gänse hingegen, für die Matrosen der Lüfte, für
die spitzwinkligen Dreiecke des Himmels, die Wolken zerfetzten, für die Sänger
des Firmaments, die eine steife Brise im Rücken hatten – siebzig Meilen die
Stunde, und nochmal siebzig – für diese geheimnisvollen Geographen – in drei
Meilen Höhe, so heißt es – mit Kumuluswolken zu Füßen anstelle von Wasser – für
die war das ganz und gar anders, und vor allem war es eine Lust.
    Der König hatte seine Freunde noch nie so
fröhlich gesehen. Die Lieder, die sie Stunde um Stunde sangen, waren voll
davon. Einige waren vulgär (damit werden wir uns ein andermal beschäftigen),
andere waren Sagas von unvergleichlicher Schönheit, und wieder andere waren
einigermaßen leichtsinnig. Ein Lied fand er besonders komisch.
     
    Wir ziehen am Himmel mit Krächzen und
Schrein,
    Und landen auf Wiesen, stolzieren
querfeldein,
    Honk-honk, Honk-honk,
Honk-honk.
     
    Verdrehn unsre Hälse recht komisch und
keck
    Wie emsige Klempner, wenn’s Bleirohr ist
leck,
    Hink-hink, Hink-hink,
Hink-hink.
     
    Wir weiden gemütlich und mästen uns satt
    An Gräsern und Krautern, an Stengel und
Blatt,
    Hunk-hunk, Hunk-hunk,Hunk-hunk.
     
    Ja Honk oder Hink, bei uns geht das flink,
    Ja Hink oder Hunk, uns schmeckt jeder
Strunk,
    Honk-honk, Hink-hink,
Hunk-hunk,
    Vivat Speis und Trunk!
     
    Ein empfindsamer Song lautete:
     
    Wild und frei, wild und frei,
    Ach, mein Gänsrich flog vorbei!
     
    Und einmal, als sie eine felsige Insel
überquerten, die von Ringelgänsen bevölkert war – sie sahen aus wie alte
Jungfern mit schwarzen Lederhandschuhen, Kapotthütchen und kohlefarbenem
Halsband – , stimmte das ganze Geschwader spöttisch an:
     
    Branta bernicla suhlt sich sacht und sanft
im Sumpf,
    Branta bernicla suhlt sich sacht und sanft
im Sumpf,
     Branta bernicla suhlt sich sacht und
sanft im Sumpf,
    doch wir ziehn im Gänsemarsch.
    Glory, Glory, jetzt sind wir da,
    Glory, Glory, jetzt sind wir da,
    Glory, Glory, jetzt sind wir da,
    Marsch, zum Nordpol, auf, marsch, marsch.
     
    Aber es hat keinen Sinn, von der Schönheit
erzählen zu wollen. Das Leben war einfach unglaublich schön, und das ist ein
Genuß, der gelebt werden muß.
    Manchmal stiegen sie von der Höhe der
Zirruswolken nieder, um eines besseren Rückenwindes teilhaftig zu werden, und
gerieten in die riesigen Kumuluskissen, in gewaltige Türme geformten
Wasserdampfs, weiß wie frischgewaschene Wäsche am Montag und massiv wie
Meringen. Bisweilen lag eine dieser aufgehäuften Himmelsblumen, dieser
schneeweißen Losungen eines gigantischen Pegasus, einzeln meilenweit voraus.
Dann steuerten sie diese an, sahen sie still und kaum wahrnehmbar wachsen: ein
regloses Wachstum. Und wenn sie da waren, wenn es schien, als würden sie mit
ihren Schnäbeln schmerzhaft an diese scheinbar feste Masse stoßen – dann
dämmerte die Sonne herauf. Sekundenlang ringelten sich plötzlich Nebelschwaden
zu ihren Füßen wie Schlangen der Lüfte. Grauer Dunst umgab sie – und die Sonne,
ein kupferner Pfennig, verblaßte, verblich. Die Flügel des Nachbarn tauchten
ins Leere, bis jeder Vogel ein einsames Geräusch war im kalten Nichts, ein
Gegenwärtiges nach der Ent-Schöpfung. Und dort hingen sie nun, im
Un-Kartographierten, anscheinend ohne Fahrt, ohne Links und Rechts und Oben
oder Unten, bis urplötzlich der Kupferpfennig wieder glühte und die Schlangen
sich wieder ringelten. Einen Augenblick lang waren sie neuerlich in der
Juwelen-Welt, hatten unter sich ein Meer aus Türkis und alle neugeschaffenen
Prunkpaläste des Paradieses, auf denen der Tau von Eden noch nicht getrocknet
war. Eine Felsklippe im Ozean half ihnen, bei dieser Flugwanderung nicht die
Richtung zu verlieren. Auch andere Orientierungspunkte gab es. Einmal, zum
Beispiel, kreuzten Zwergschwäne ihren Weg, in einer Reihe hintereinander
fliegend, nach Abisco zu, lärmend wie kläffende kleine Köter, denen man ein Taschentuch
übergeworfen hat. Ein andermal überholten sie eine Waldohreule, die sich mühsam
abplagte und –

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