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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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spürte, daß er das Land auch ohne Licht erkannt hätte. Er
wußte, daß dort der Severn floß, drüben lag das südenglische Hügelland und dort
der Peak – alles unsichtbar, doch Teil seiner Heimat. Auf dieser Weide mußte
ein weißes Pferd grasen, auf jener hing sicher Wäsche an der Hecke. So mußte es
notwendigerweise sein. Plötzlich empfand er die starke traurige Süße des Seins
als Sein, jenseits von richtig oder falsch: daß die bloße Tatsache des Seins
das endgültig Richtige war. Er begann das Land unter sich mit einer wilden
Sehnsucht zu lieben, nicht weil es gut oder schlecht war, sondern weil es war:
wegen der Schatten der Getreidegarben an einem goldenen Abend; weil die
Schafschwänze beim Laufen zuckten und weil die Lämmer beim Saugen ihre Schwänze
in kleine Wirbel rollten; weil die Wolken am Tag das Land in Licht und Schatten
tauchten; weil die grüngoldenen Regenpfeiferschwärme, die auf den Weiden Würmer
suchten, mit den Köpfen im Wind gemeinsam ein Stückchen weiterstrebten; weil
die altjüngferlichen Reiher, die nach David Garnett ihre Haare mit Fischgräten
gesträubt halten, in Ohnmacht fielen, wenn ein Junge sich anschlich und schrie,
bevor sie ihn gesehen hatten; weil der Rauch aus den Hütten als blauer Bart in
den Himmel strömte; weil die Sterne in den Pfützen heller strahlten als am
Himmel; weil es Pfützen und undichte Dachrinnen und Misthaufen voller
Mohnblumen gab; weil der Lachs in den Flüssen plötzlich sprang und fiel; weil
die Kastanienknospen im lauen Frühlingswind plötzlich aus ihren Hüllen sprangen
wie Schachtelmännchen oder wie kleine Geister, die ihn mit grünen Händen
erschrecken wollten; weil die Dohlen beim Nestbau mit Zweigen in den Schnäbeln
in der Luft hingen und schöner waren als jede Taube, die zur Arche zurückkehrte;
weil dort unten im Mondlicht Gottes größter Segen für die Welt lag, das
silberne Geschenk des Schlafes.
    Er stellte fest, daß er es liebte – mehr
als Ginevra, mehr als Lanzelot, mehr als Lyo-lyok. Es war seine Mutter und
seine Tochter. Er kannte die Sprache seiner Menschen und hätte gespürt, wie sie
sich unter ihm verändert, wenn er wie die Gans, die er einmal gewesen war, von
Zumerzet nach Och-aya darübergeflogen wäre. Er wußte, wie das Volk über die
Dinge dachte, über alle möglichen Dinge, noch bevor er danach fragte. Er war
sein König. Und sie waren sein Volk, seine eigene Verantwortung von stultus oder ferox, eine Verantwortung, wie sie der alte Gänse Admiral auf dem Bauernhof
übernommen hatte. Jetzt waren sie nicht grausam, weil sie schliefen. England lag
dem alten Mann zu Füßen wie ein schlafendes Menschenkind. Wenn es aufgewacht
war, würde es umherstapfen, nach Dingen fassen und sie zerbrechen,
Schmetterlinge töten, Katzen an den Schwänzen ziehen und sein Ego mit
amoralischer und erbarmungsloser Überheblichkeit füttern. Doch im Schlaf hatte
es seine maskuline Gewalt aufgegeben. Das Menschenkind lag jetzt unbewehrt da,
verletzlich, ein Baby voll Vertrauen, daß die Welt es in Frieden schlafen läßt.
All die Schönheit seiner Menschen fiel ihm ein statt ihrer Entsetzlichkeit. Er
sah die große Armee der Märtyrer, die seine Zeugen waren: Junge Männer, die
selbst im ersten Eheglück ausgezogen waren, um auf schmutzigen Schlachtfeldern
wie Bedegraine für den Glauben anderer zu sterben – die aber freiwillig ausgezogen
waren; die aber ausgezogen waren, weil sie es für richtig gehalten hatten; die
aber ausgezogen waren, obwohl sie darunter litten. Vielleicht waren es
unwissende junge Männer gewesen, und sie waren für Sinnloses gestorben. Doch
ihre Unwissenheit war voller Unschuld gewesen. Sie hatten etwas ungeheuer
Schwieriges getan in ihrer unwissenden Unschuld, was ihnen nicht zugute kam.
Plötzlich sah er all die Menschen vor sich, die ein Opfer auf sich genommen
hatten: Gelehrte, die für die Wahrheit verhungert waren, Dichter, die niemals
um des lieben Erfolges willen Kompromisse eingegangen waren, Eltern, die ihre
eigene Liebe unterdrückten, damit ihre Kinder leben konnten, Ärzte und Heilige,
die gestorben waren, um zu helfen, Millionen Kreuzritter, vorwiegend dumme, die
wegen ihrer Dummheit geschlachtet worden waren – doch sie hatten es gut
gemeint.
    Darauf kam es an: es gut zu meinen! Er
erhaschte einen Schimmer dieser außerordentlichen menschlichen Fähigkeit,
dieses merkwürdigen, altruistischen, seltenen und hartnäckigen Anstands, aus
dem heraus Schriftsteller oder Wissenschaftler ihre

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