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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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sagte Wart
mürrisch.
    Das alte Kindermädchen drückte ihn allsogleich an
ihren breit ausladenden Busen, klopfte ihm auf den Rücken und sagte: »Schon
gut, schon gut, mein Schätzchen. Dieselbe Geschichte, wo Sir Ector mir erzählt
hat, als ich’n mit ’nem dicken Auge erwischt hab’, jetzt vierzig Jahre her.
Geht doch nichts über eine gute Familie, die sich anne gute Lüge hält. Komm,
mein kleines Unschuldslamm: wir gehn in die Küche, und da legen wir ein schönes
Steakchen aufs Auge. Wie kann man sich aber auch mit wem einlassen, wo größer
ist als man selbst?«
    »Ist schon in Ordnung«, sagte Wart wieder. Der Aufwand
ekelte ihn an, aber es gab kein Entrinnen: die alte treue Seele kannte kein
Erbarmen. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis ihm die Flucht gelang, und
dann nur mit der Auflage, ein saftiges Stück rohen Rindfleischs auf dem Auge zu
tragen.
    »Geht doch nichts über’n Rumpfstück, um die Stimmung
zu heben«, hatte sein Kindermädchen gesagt, und die Köchin hatte erwidert:
    »Un’ seit Ostern hat’s so’n schönes Steak noch
nich’ gegeben, nein, nie un’ nimmer.«
    Ich werd’s für Balan aufheben, dachte Wart und
machte sich wieder auf die Suche nach seinem Tutor.
    Er fand ihn ohne Schwierigkeiten in dem Turmzimmer,
das er sich bei seiner Ankunft auserwählt hatte. Philosophen ziehen es nun
einmal vor, in Türmen zu hausen, wie man an dem Raum ersehen kann, den Erasmus
in seinem College zu Cambridge bewohnte; doch Merlins Turm war noch schöner.
Sein Zimmer war das höchste des Schlosses; es lag unmittelbar unter dem Ausguck
des Bergfrieds, und von seinem Fenster konnte man übers Feld – mit all den
Kaninchenlöchern – blicken und über den Park und übers Revier, bis hin zu den
blauen Baumwipfeln des Forest Sauvage. Dieses wogende Meer aus Wald zog sich
bucklig in die Weite (wie die Oberfläche eines Haferbreis), bis es sich
schließlich in fernen Bergen verlor, die keiner kannte, und in den
wolkenbedeckten Türmen und prachtvollen Palästen des Himmels.
    Merlins Kommentare zu dem blauen Auge waren rein
medizinischer Natur.
    »Die Verfärbung«, sagte er, »wird von einer Blutung
(Hämorrhagie) im Gewebe (Ecchymose) herbeigeführt und durchläuft dunkles Purpur
und Grün und Gelb, ehe sie verschwindet.«
    Hiergegen ließ sich nichts Vernünftiges anführen.
    »Du hast sie dir«, fuhr Merlin fort, »vermutlich im
Kampf mit Kay zugezogen?«
    »Ja. Woher wißt Ihr das?«
    »Also stimmt’s.«
    »Deshalb komm’ ich her. Ich wollt’ was fragen –
wegen Kay.«
    »Sprich. Fordere. Ich gebe dir Bescheid.«
    »Na ja, Kay meint, es war’ unfair, daß Ihr mich
immer in was anderes verwandelt und ihn nicht. Ich hab’ ihm nichts erzählt,
aber ich glaube, er hat da so eine Ahnung. Ich hält’s auch für unfair,
irgendwie ungerecht.«
    »Es ist ungerecht.«
    »Dann werdet Ihr uns das nächste Mal beide verwandeln,
wenn Ihr wieder mal verwandelt?«
    Merlin hatte sein Frühstück beendet und paffte an
seiner Meerschaumpfeife, was bei seinem Schüler den Eindruck hervorrief, als
stoße er Feuer und Rauch aus. Jetzt inhalierte er tief, sah Wart an, öffnete
den Mund zu einer Erwiderung, überlegte sich’s anders, blies den Rauch aus und
sog wieder an seiner Pfeife.
    »Mitunter«, so sagte er, »scheint das Leben
tatsächlich ungerecht zu sein. Kennst du die Geschichte von Elias und dem Rabbi
Jachanan?«
    »Nein«, sagte Wart.
    Ergeben nahm er auf der bequemsten Stelle des Fußbodens
Platz; ihm schwante, daß ihm etwas Ähnliches wie das Gleichnis vom Spiegel bevorstand.
    »Dieser Rabbi«, sagte Merlin, »war mit dem
Propheten Elias unterwegs. Sie gingen den ganzen Tag, und bei Einbruch der
Nacht erreichten sie die Hütte eines armen Mannes, dessen einziger Besitz eine
Kuh war. Der Arme lief aus seiner Hütte, und hinter ihm drein kam seine Frau,
um die Fremdlinge zu begrüßen und ihnen ihre Gastfreundschaft anzubieten,
soweit die beschränkten Verhältnisse dies zuließen. Elias und der Rabbi wurden
reichlich mit Kuhmilch bewirtet, wozu es Brot und Butter gab, beides
selbstgemacht; dann überließ man ihnen das Bett, während die Gastgeber vor dem
Küchenfeuer schliefen. Am nächsten Morgen war die Kuh des armen Mannes tot.«
    »Weiter.«
    »Sie gingen den ganzen nächsten Tag, und gegen
Abend kamen sie zu dem Haus eines sehr wohlhabenden Kaufmanns, den sie um
Aufnahme baten. Der Kaufmann war kalt und stolz und reich; den Propheten und
seinen Begleiter quartierte er im Kuhstall ein, und

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