Der König auf Camelot
Gewölle vergessen.«
(»Gewölle sind Knochen und Haare und Federn und
dergleichen«, erklärte Balan, »ausgewürgte Unverdaulichkeiten, und den Eid muß
man natürlich auf Knochen ablegen.«)
»Das Gewölle vergessen? Es ist Ihre Pflicht,
Gewölle bereitzuhalten!«
»Ich – ich weiß.«
»Was haben Sie denn damit gemacht?«
Des Sperbers Stimme überschlug sich ob der Ungeheuerlichkeit
seiner Beichte. »Ich – ich hab’s gekröpft«, weinte der unglückselige Priester.
Niemand sagte irgend etwas. Eine solche
Pflichtvergessenheit war allzu entsetzlich, als daß man Worte dafür hätte
finden können. Alle standen auf zwei Beinen und wandten ihre blinden Köpfe dem
Übeltäter zu. Kein Wort des Vorwurfs wurde geäußert. Nur war während des fünf
Minuten langen vollkommenen Schweigens das Schniefen und Schnüffeln des
ausschweifenden Priesters zu hören.
»Ja«, sagte der Peregrin schließlich, »dann werden
wir die Weihe auf morgen verschieben müssen.«
»Wenn Sie entschuldigen, Madame«, sagte Baiin,
»vielleicht könnten wir die Mutprobe noch heute nacht abhalten? Ich glaube,
der Kandidat ist los, denn ich habe nicht gehört, daß man ihn angebunden
hätte.«
Bei der Erwähnung einer Mutprobe überlief es Wart
kalt, und er beschloß, daß Baiin morgen nicht eine einzige Feder von Balans
Sperling haben solle.
»Danke, Hauptmann Baiin. Ich war selber schon zu
dieser Überlegung gekommen.«
Baiin hielt den Schnabel.
»Sind Sie los, Kandidat?«
»Ja, Madame, doch ja, bitte sehr; aber einer
Mutprobe möcht’ ich mich nicht gern unterziehn, wenn es sich vermeiden ließe.«
»Die Mutprobe ist ein Bestandteil des Aufnahmeverfahrens.
– Einen Augenblick«, fuhr die Ehrenobristin nachdenklich fort. »Was für eine
Mutprobe hatten wir das letztemal? Wissen Sie das noch, Captain Balan?«
»Meine Mutprobe, Madame«, sagte der freundliche
Merlin, »bestand darin, daß ich während der dritten Wache im Geschirr hing.«
»Wenn er los ist, kann er das nicht machen.«
»Sie könnten ihn selber schlagen, Madame«, sagte
der Turmfalk. »Symbolisch, verstehen Sie.«
»Er soll sich neben Colonel Cully setzen, während
wir dreimal läuten«, sagte der andere Merlin.
»Oh nein!« rief der kranke Colonel verstört aus
seiner finsteren Ecke. »Oh nein, Gnädigste. Ich flehe um Pardon. Ich bin ein
solch verdammter Schurke, Gnädigste, daß ich für die Konsequenzen nicht
einstehn kann. Verschonen Sie den armen Fähnrich und führen Sie uns nicht in
Versuchung.«
»Obrist, beherrschen Sie sich gefälligst. Ich halte
die vorgeschlagene Mutprobe für gut.«
»Bitte nicht, Madame; ich bin vor Colonel Cullys
Nähe ausdrücklich gewarnt worden.«
»Gewarnt? Und von wem?«
Der arme Wart entdeckte, daß er nun wählen mußte.
Entweder gab er zu erkennen, daß er ein Mensch war; dann erfuhr er nichts mehr
von ihren Geheimnissen. Oder aber er ließ diese Mutprobe über sich ergehen – zu
Wohl und Wehe seiner Bildung. Er wollte kein Feigling sein.
»Ich setze mich neben den Oberst, Madame«, sagte er
und merkte, daß seine Stimme beleidigend klang.
Der Wanderfalke achtete nicht auf den Tonfall.
»Es ist gut«, sagte er. »Zuerst aber brauchen wir
ein feierliches Lied. Also, Padre: für den Fall, daß Sie nicht auch Ihre Lieder
gekröpft haben, wie Ihr Gewölle, möchte ich Sie bitten, die alte – nicht die
neue – Nummer 23 anzustimmen. Die Mutproben-Hymne. Und Sie, Herr Tu«, setzte
sie, an den Turmfalken gewendet, hinzu, »Sie halten sich besser raus, denn Sie
singen immer zu hoch.«
Die Falken standen still im Mondschein, während der
Sperber zählte: »Eins, zwei, drei.« Dann öffneten sich alle gekrümmten oder
gezahnten Schnäbel unter den Hauben in schmetterndem Gleichklang. Und dies
sangen sie:
»Leben ist vergoßnes
Blut,
Adleraug erträgt
selbst Glut,
List erlegt das zage
Reh,
TIMOR MORTIS CONTURBAT
ME.
Krall dich fest! der
Füßler singt,
Lahm das Fleisch, der
Fuß beschwingt,
Heil dem Starken, dem
Schwachen Weh,
TlMOR MORTIS EXULTAT
ME.
Schande dem Trägen,
Tod dem Feigen,
Helden nur gen Himmel
steigen,
Blut dem reißenden
Getier,
TIMOR MORTIS, das sind
WIR. «
»Sehr hübsch«, sagte der
Peregrin. »Captain Balan, Sie waren, scheint mir, beim hohen C nicht ganz
rein. – Und nun, Herr Kandidat, werden Sie sich hinüberbemühen und neben
Colonel Cullys Gehege Platz nehmen, während wir dreimal mit unsern Glöckchen
läuten. Beim dritten Klingeln dürfen Sie sich
Weitere Kostenlose Bücher