Der König auf Camelot
denn seinen Herrn
verließ er natürlich nie – , doch Merlin schenkte ihnen keine Beachtung.
»Los«, sagte Merlin wütend, augenscheinlich zu
niemandem. »Soll das vielleicht komisch sein? – Na schön, weshalb hast du’s
dann getan? – Das ist keine Entschuldigung. Natürlich habe ich den gemeint,
den ich aufhatte. -Jetzt im Augenblick, selbstverständlich. Ich will keinen
Hut, den ich 1890 aufgehabt habe. Hast du denn überhaupt kein Zeitgefühl?«
Merlin nahm die Matrosenmütze ab, die gerade
erschienen war, und hielt sie der Luft zur Begutachtung hin.
»Das ist ein Anachronismus«, sagte er streng.
»Nichts anderes: ein ganz gemeiner Anachronismus.«
Archimedes schien derlei Begebenheiten gewöhnt zu
sein, denn er sagte ruhig: »Weshalb bezeichnet Ihr den Hut nicht genau,
Meister? Sagt: ›Ich will meinen Zauberhut‹, nicht: ›Ich will den Hut, den ich
aufhatte.‹ Vielleicht fällt’s dem armen Kerl genauso schwer, rückwärts zu leben.«
»Ich will meinen Zauberhut«, sagte Merlin mürrisch.
Gleich thronte der hohe Spitzhut auf seinem Haupt.
Die Spannung in der Luft ließ nach. Wart setzte
sich wieder auf den Boden, und Archimedes widmete sich neuerlich der
Leibespflege. Er zog die Schwung- und Schwanzfedern durch den Schnabel, um die
Federfahnen aneinander zu schmiegen: jede Fahne hatte Hunderte kleiner Häkchen
oder barbulae , also Bärtchen, womit die Federfahnen zusammengehalten
wurden. Diese strich er zurecht.
Merlin sagte: »Ich bitte um Verzeihung. Ich habe
heute keinen guten Tag, da kann man nichts machen.«
»Wegen Kay«, sagte Wart. »Wenn Ihr ihn nicht in
etwas verwandeln könnt – könntet Ihr dann nicht machen, daß wir ein Abenteuer
erleben, ohne verwandelt zu werden?«
Merlin gab sich sichtbar Mühe, sein Temperament zu
zügeln, und versuchte, diese Frage leidenschaftslos zu erwägen. Er war des
Themas restlos überdrüssig.
»Ich kann für Kay keine Magie machen«, sagte er gemessen,
»außer meiner eigenen, die ich ohnehin habe. Rück-Blick und Ein-Blick und all
das. Meinst du, ich sollte damit was tun?«
»Was hat’s denn mit Euerm Rück-Blick auf sich?«
»Der sagt mir, was geschehen wird , wie du
sagen würdest. Und der Ein-Blick oder Tief-Blick verrät mir bisweilen, was an
anderen Orten geschieht oder geschah.«
»Geschieht da grad was, wo ich mit Kay hingehn könnte?«
Merlin schlug sich vor die Stirn und rief erregt
aus: »Jetzt seh’ ich’s. Ja, natürlich. Und du wirst dabei sein. Ja, hol Kay und
beeil dich. Ihr müßt gleich nach der Messe los. Frühstückt schnell und macht
euch nach der Messe auf den Weg. Ja, das ist es. Geht aufs Feld, zu Hobs
Gerstenacker, und dann weiter in Richtung der Ackerfurchen, bis ihr auf etwas
stoßt. Das ist famos, ja, und ich kann mich heute nachmittag aufs Ohr legen,
statt mich mit den albernen Summulae Logicales abzurackern. Oder hab’ ich das
Schläfchen schon hinter mir?«
»Ihr habt’s noch nicht hinter Euch«, sagte
Archimedes. »Es ist noch in der Zukunft, Meister.«
»Vorzüglich, vorzüglich. Und, Wart: vergiß nicht,
Kay mitzunehmen, so daß ich mein Nickerchen machen kann.«
»Was werden wir denn erleben?« fragte Wart.
»Ach, quäl mich doch nicht mit derlei Nebensächlichkeiten.
Sei lieb und lauf und vergiß nicht, Kay mitzunehmen. Warum hast du mich nicht
vorher drauf gebracht? Vergiß nicht: das Gerstenfeld entlang und weiter. Ja
sowas! Ja sowas! Das ist der erste freie Halbtag, seit ich mit diesem
verwünschten Lehramt angefangen habe. Zuerst werd’ ich vor dem Essen ein
Schläfchen tun, und dann werd’ ich vor dem Tee ein kleines Nickerchen machen.
Dann muß ich mir überlegen, was ich vor dem Abendessen anfangen werde. Was
soll ich vor dem Abendessen tun, Archimedes?«
»Ein Schläfchen halten, schätz’ ich«, sagte die
Eule ungerührt und kehrte ihrem Herrn und Meister den Rücken zu. Denn ihr war,
wie Wart, das lustige Leben lieber.
KAPITEL 10
Wart wußte, daß er dem
älteren Jungen nichts von seiner Unterhaltung mit Merlin berichten durfte, weil
Kay dann nicht mitkommen würde; er konnte es nicht ausstehen, wenn man sich
herabließ, ihn zu begönnern. Also sagte Wart nichts. Es war sonderbar, aber
durch ihren Kampf waren sie wieder Freunde geworden, und sie konnten sich, mit
einer Art unsicherer Zuneigung, offen in die Augen sehen. Gemeinsam gingen sie
– einmütig, wenn auch mit einer gewissen Scheu – ohne Erklärungen los und kamen
kurz nach der Messe zum
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