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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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stolperte geradewegs
zum Fenster hinaus. Jetzt, so dachte er vergnügt, werd’ ich mir’s Genick
brechen. Es war merkwürdig, aber er nahm das Leben nicht ernst. Er merkte, wie
die Schloßmauern an ihm vorüberstrichen und wie die Erde und der Burggraben
sich wie schwimmend hoben. Er schlug mit den Flügeln, und der Grund versank
wieder, wie Wasser in einem undichten Brunnen. Eine Sekunde später hatte der
Flügelschlag seine Wirkung verloren, und die Erde wogte neuerlich empor. Er
schlug wieder. Es war sonderbar, sich auf diese Weise fortzubewegen: die Erde
hob und senkte sich wie Ebbe und Flut, und dank den besonderen Außenkanten der
Schwingen flog er geräuschlos dahin.
    »Um Himmelswillen«, keuchte Archimedes, der in der
dunklen Luft neben ihm auf und nieder tanzte, »flieg nicht wie ein Specht. Man
könnte dich ja für einen Sperlingskauz halten, wenn diese Viecher schon importiert
wären. Was machst du nur? Du gibst dir mit einem Flügelschnippen
Fluggeschwindigkeit. Mit dem Schnippen steigst du, bis du die
Fluggeschwindigkeit verlierst und anfängst durchzusacken. Dann schnippst du
wieder, ehe du aus der Luft fällst. Das ist ja eine richtige Berg-und-Talbahn.
Wie soll man da mit dir Schritt halten?«
    »Ja«, sagte Wart unbekümmert, »aber wenn ich das
nicht mache, stürz’ ich ab.«
    »Idiot«, sagte die Eule. »Du mußt ständig rudern,
wie ich, stetig immerzu, statt solche Sprünge zu machen.«
    Wart tat, wie ihm geheißen, und war überrascht, daß
die Erde zur Ruhe kam und sich unter ihm regelmäßig dahinbewegte, ohne zu
kippen. Er selber schien sich gar nicht von der Stelle zu rühren. »So ist’s
schon besser.«
    »Wie merkwürdig alles aussieht«, stellte der Junge
mit Verwunderung fest, da er Zeit hatte, sich umzusehen.
    Die Welt sah in der Tat merkwürdig aus. Am ehesten
läßt es sich vielleicht verständlich machen, wenn man sagt, daß sie aussah wie
ein photographisches Negativ; denn sein Sehvermögen reichte über das dem
Menschen zugängliche Spektrum hinaus. Eine Infrarotkamera macht Aufnahmen im
Dunkeln, wenn wir nichts sehen, und ebenso macht sie Aufnahmen bei Tageslicht.
Bei den Eulen verhält es sich ähnlich; es trifft nämlich nicht zu, daß sie nur
bei Nacht sehen können. Bei Tage sehen sie fast genausogut, nur haben sie den
Vorteil, bei Nacht ebenfalls sehen zu können. Naturgemäß obliegen sie der Jagd
zu einer Zeit, da ihre Beutetiere ihnen unterlegen sind. Wart wären die grünen
Bäume bei Tage weißlich erschienen, als wären sie mit Apfelblüten bedeckt, und
jetzt, bei Nacht, hatte alles das gleiche verfremdete Aussehen. Es war, als
flöge er in der Dämmerung, die alles auf verschiedene Schattierungen desselben
Farbtons reduziert; und wie in der Dämmerung, so gab es auch hier allerlei
Verschwommenes.
    »Gefällt’s dir?« fragte die Eule.
    »Sehr. Weißt du, als ich ein Fisch war, da gab es
Stellen im Wasser, die waren kälter oder wärmer als die übrigen, und jetzt in
der Luft ist’s das gleiche.«
    »Die Temperatur«, sagte Archimedes, »hängt von der
Bodenvegetation ab. Über Wäldern ist es wärmer.«
    »Jau«, sagte Wart, »ich versteh’ schon, weshalb
sich die Reptilien entschlossen, Vögel zu werden, als sie keine Fische mehr
waren.«
    »Du fängst an, die Zusammenhänge zu erkennen«, bemerkte
Archimedes. »Wie war’s, wollen wir uns nicht irgendwo niederlassen?«
    »Wie macht man das?«
    »Du mußt dich durchsacken lassen. Das heißt, du
mußt aufwärts fliegen, bis du Fahrt verlierst, und dann, wenn du merkst, daß du
absackst – dann setzt du dich hin. Hast du nie zugesehn, wie Vögel nach oben
aufbäumen? Sie fliegen nicht einfach auf den Ast nieder, sondern gehen etwas
tiefer und schwingen sich dann auf. Am höchsten Punkt ihres Aufschwungs lassen
sie sich durchsacken und setzen sich hin.«
    »Aber Vogel landen doch auch auf dem Boden. Und wie
machen’s die Wildenten? Sie können doch nicht von unten kommen und sich dann
auf dem Wasser niederlassen.«
    »Nun ja, das ist etwas schwieriger, aber durchaus
möglich. Du mußt mit Durchsack-Geschwindigkeit niedergleiten und dann den
Luftwiderstand erhöhen, indem du die Flügel wölbst, den Schwanz spreizt, die
Füße streckst, und so weiter. Vielleicht hast du bemerkt, daß nur wenige Vögel
dies anmutig tun. Achte mal darauf, wie unbeholfen eine Krähe niederstelzt und
wie die Ente platscht. Die löffelflügligen Vögel wie Reiher und Regenpfeifer
scheinen’s am besten zu können. Aber wir Eulen sind

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