Der König auf Camelot
er’s ihr automatisch gleich. Etwa acht in der Nähe hatten mit
den Schnäbeln geruckt, was er nachmachte, als sei solch ein Tun ansteckend,
und auf einmal befand er sich mit diesen acht zusammen schwebend in der
waagrechten Luft. In dem Augenblick, da er den Erdboden verließ, verschwand
der Wind. Seine Ruhelosigkeit und Brutalität hatte ganz plötzlich aufgehört,
wie mit dem Messer abgeschnitten. Wart war im Wind wunschlos.
Die acht Wildgänse formierten sich in Kiellinie,
mit genau gleichem Abstand, und er bildete den Schluß. Sie wandten sich gen
Osten, wo die kümmerlichen Lichter gewesen waren. Und jetzt stieg vor ihnen
kühn die Sonne auf. In der schwarzen Wolkenbank weit hinter dem Land entstand
ein Riß aus Zinnober und Orange. Das Leuchten breitete sich aus; die
Salzmarsch unter ihnen wurde sichtbar. Er sah sie wie ein gestaltloses Moor,
das zufällig maritim geworden war – das Heidekraut, das noch wie Heide aussah,
hatte sich mit dem Seetang zusammengetan und war nun salzfeuchtes Heidekraut
mit schlüpfrig-glitschigem Grün. Die Brandstreifen, die sich durchs Moor
hätten ziehen sollen, bestanden aus Meerwasser auf bläulichem Schlick. Hier
und dort waren an Stangen lange Netze ausgespannt, um unaufmerksame Gänse zu
fangen. Daher also die Warnrufe. In einem Netz hingen zwei oder drei
Pfeifenten, und von Osten her stapfte fliegenklein ein Mann durch den Schlick,
zäh und verbissen, um seine Jagdstrecke einzusammeln.
Die Sonne stieg und färbte die Rinnsale und Priele
und den glimmenden Schlamm mit Flammenfarben. Die Brachvögel, die lange vor
Hellwerden ihre Klagelieder angestimmt hatten, flogen jetzt von ihren
Weidebänken auf. Die Pfeifenten, die auf dem Wasser geschlafen hatten,
strichen ab und pfiffen ihren Doppellaut wie Silvester-Schwärmer. Die
Stockenten plagten sich vom Land her gegen den Wind. Die Rotschenkel huschten
wie Mäuse umher und stöberten im Schlick. Eine Wolke winziger
Alpenstrandläufer, dichter als ein Starenschwarm, wendete in der Luft mit dem
Getöse einer Eisenbahn. Das Krähengesindel erhob sich fröhlich kreischend aus
den Kiefern in den Dünen. Strandvögel jeder Art bevölkerten den Gezeitensaum,
schön und geschäftig.
Das Morgenrot, Meeresdämmerung, die Meisterschaft
geordneten Fliegens: all dies war von derart eindringlicher Schönheit, daß der
Junge das Gefühl hatte, singen zu müssen. Eine Hymne an das Leben. Und da
tausend Gänse um ihn her im Fluge waren, brauchte er nicht lange zu warten. Die
Formationen dieser Geschöpfe, die, der Sonne zugewandt, wie Rauchschwaden am
Himmel wogten, stimmten allzugleich Gesang und Gelächter an. Jedes einzelne
Geschwader war im Ausdruck ein wenig verschieden – übermütig,
jubilierend-triumphierend, gefühlvoll oder fröhlich-heiter. Die gewaltigen
Gewölbe des Tagesanbruchs füllten sich mit Herolden, und dies war ihr Lied:
»Du rollend Weltenrad und Uhrwerk sondergleichen,
Dreh du ans Firmament der Sonnen-Zauberzeichen.
Auf jeder Brust, seht hin, der Morgenrot
Frohlocken, Es jauchzt aus jeder Kehl Posaun und Spiel der Glocken.
Der wilden Vögel Zug zeucht aus den dunklen Stunden,
Ein dämmernd Waidgefolg von Hengsten und von Hunden.
Frei, frei, fern, fern; schön schwebend auf Schwingen
Naht Anser albifrons mit Klingen und Singen.«
Er befand sich auf einer struppigen Wiese; es war
Tag. Seine Fluggefährten weideten um ihn her; sie rupften das Gras mit seitlich
gedrehten, weichen, kleinen Schnäbeln und verbogen dabei – im Gegensatz zu den
anmutigen Bewegungen der Schwäne – grotesk ihre Hälse. Wenn sie weideten, stand
einer stets Wache, mit hoch erhobenem Kopf, einer Schlange ähnlich. Sie hatten
sich während der Wintermonate gepaart, vielleicht schon in früheren Wintern,
so daß sie innerhalb des Familienverbandes und des Geschwaders meist paarweise
grasten. Die junge Gänsin, Warts Nachbarin aus dem Wattenmoor, stand in ihrem
ersten Jahr. Sie behielt ihn fürsorglich im Auge.
Der Junge beobachtete sie behutsam und gewahrte
ihre etwas dralle, kompakte Gestalt sowie eine hübsche Fiederung im Genick.
Diese Fiederung wurde, wie er verstohlen konstatierte, durch einen Unterschied
im Federbesatz bewirkt. Die Federn waren konkav, was sie voneinander trennte,
und hierdurch entstand ein Gefüge von Feder-Kämmen, das ihn reizvoll dünkte.
Alsbald gab ihm die junge Gänsin einen Stups mit
dem Schnabel. Sie hatte Posten gestanden.
»Du bist dran«, sagte sie.
Sie senkte den Kopf, ohne auf eine Antwort
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