Der König auf Camelot
auch nicht so übel.«
»Und die langflügligen Vögel wie die Mauersegler –
die werden wohl die schlechtesten sein, weil sie sich überhaupt nicht von
einer flachen Oberfläche erheben können?«
»Das hat andere Gründe«, sagte Archimedes, »doch es
stimmt. Aber müssen wir uns im Fliegen unterhalten? Ich werde langsam müde.«
»Ich auch.«
»Eulen setzen sich am liebsten alle hundert Schritt
einmal hin.«
Wart kopierte Archimedes genau, als sie vor dem
Zweig, den sie sich ausgesucht hatten, steil hochzogen. Als sie grad über dem
Ast waren, begann Wart zu fallen; im letzten Augenblick bekam er ihn mit seinen
befiederten Füßen zu fassen, schwang zweimal vor und zurück und stellte fest,
daß er erfolgreich gelandet war. Er faltete seine Flügel zusammen.
Während Wart still dasaß und die Aussicht genoß,
fuhr sein Freund fort, ihm einen Vortrag über den Vogelflug zu halten. Obwohl
der Mauersegler ein so guter Flieger sei, daß er die ganze Nacht im Fliegen
schlafen könne, und obwohl Wart, nach eigener Auskunft, die Flugspäße der
Krähen bewunderte – der wahre Aeronaut der unteren Luftschichten (was also den
Mauersegler ausschloß) sei eindeutig der Regenpfeifer. Archimedes erzählte, wie
weit es die Regenpfeifer in der Aerobatik gebracht hätten; sie brächten
erstaunliche Dinge fertig, sogar Trudeln, Kippwendungen und Rollen – alles aus
Spaß an der Freude. Sie seien die einzigen Vögel, die Höhe slippten, um zu
landen – wenn man davon absehen wolle, daß dies gelegentlich auch der älteste,
fröhlichste und schönste aller bewußten Aeronauten tat: der Rabe. Wart schenkte
dem Vortrag nur geringe Aufmerksamkeit; statt dessen gewöhnte er seine Augen an
die seltsamen Tönungen des Lichts, und ab und zu beobachtete er Archimedes.
Denn dieser hielt, während er sprach, unbewußt nach seinem Mittagessen
Ausschau. Dieses Ausschauhalten war eine bühnenreife Darbietung. Ein Kreisel,
der seinen Schwung verliert, beschreibt mit seinem oberen Teil immer größere
Kreise, bis er umfällt. Die Spitze bleibt an der gleichen Stelle, doch die
obere Rundung dreht sich immer weiter vom Mittelpunkt nach außen. Genau dies
tat Archimedes in Gedanken. Seine Fänge blieben reglos, während er den
Oberkörper immerfort herumdrehte, wie jemand, der im Kino hinter einer fetten
Frau sitzt und herauszufinden sucht, auf welcher Seite von ihr er am besten
sieht. Da er auch seinen Kopf bis zu 270 Grad zu drehen vermochte, kann man
sich leicht vorstellen, daß seine Mätzchen des Zusehens wert waren.
»Was machst du da?« fragte Wart.
Während er noch fragte, war Archimedes verschwunden.
Eben hatte da eine Eule über Regenpfeifer doziert -und auf einmal war überhaupt
keine Eule da. Nur tief unten rummste es, Blätter raschelten: der Luft-Torpedo
war, ungeachtet aller Hindernisse, mitten in ein Gebüsch gestoßen.
Ein wenig später saß die Eule wieder neben ihm auf
dem Zweig und zerlegte gedankenvoll einen toten Sperling.
»Darf ich mal?« fragte Wart, der Blutdurst
verspürte.
»Nein«, sagte Archimedes, nachdem er sich einen
Happen zu Gemüte geführt hatte, »du darfst nicht. Die magische Maus, die dich
in eine Eule verwandelt hat, reicht – schließlich hast du ja schon den ganzen
Tag als Mensch gegessen –, und keine Eule tötet zum Vergnügen. Außerdem soll
dies ein Lehrausflug sein, und sobald ich mit meinem Imbiß fertig bin, werden
wir uns wieder der Bildung widmen.«
»Wo führst du mich denn hin?«
Archimedes verspeiste seinen Spatzen, wischte sich
den Schnabel sittsam am Gezweig ab und richtete seine Augen auf Wart. Diese
großen runden Augen trugen, wie ein berühmter Schriftsteller es ausdrückte,
eine Licht-Blüte, einen Glanz-Fleck – ähnlich dem Purpurhauch auf einer Traube.
»Jetzt hast du fliegen gelernt«, sagte er, »und
Merlin meint, nun soltest du’s mit den Wildgänsen versuchen.«
Die Gegend, in die sie kamen, war vollkommen flach.
In der Menschenwelt sieht man kaum je etwas absolut Flaches, Ebenes, da dort
die Bäume und Häuser,und Hecken jeder Landschaft eine gezackte Kontur
verleihen. Sogar das Gras sticht mit Myriaden von Halmen in die Höhe. Hier
aber, im Bauch der Nacht, war genzenloser flacher feuchter Schlamm, gestaltlos
wie ein schwarzer Quark. Wäre es nasser Sand gewesen, hätte auch der diese
kleinen Wellenzeichen gehabt, ähnlich den Linien auf den Fingerkuppen.
Auf dieser ungeheuren formlosen Fläche lebte ein
einziges Element: der Wind. Denn er war ein Element.
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