Der König auf Camelot
äußerst gelehrtem Tonfall, »behauptet, oder wird
behaupten, daß die Vogelsprache ihren Ursprung in der Nachahmung habe.
Aristoteles führt ja die Tragödie auf Nachahmung zurück.«
Archimedes seufzte auf und bemerkte prophetisch:
»Am besten wird’s sein, Ihr redet’s Euch von der Seele.«
»Es ist so«, sagte Merlin. »Der Turmfalke stößt auf
eine Maus, und die arme Maus sitzt in den nadelscharfen Fängen und schreit in
ihrer Qual laut auf: Kiiii! Wenn der Turmfalke das nächste Mal eine Maus sieht,
ahmt sein Herz den Ton nach, und er schreit ebenfalls Kii. Ein anderer
Turmfalke, vielleicht das dazugehörige Weibchen, übernimmt den Ruf, und nach
ein paar Millionen Jahren rufen sich alle
Turmfalken mit ihrem individuellen Kii-kii-kii.«
»Man kann aber
doch die ganze Sache nicht von einem einzigen Vogel herleiten«, sagte Wart.
»Will ich auch
nicht. Die Falken kreischen wie ihre Beute. Die Stockenten quaken wie die
Frösche, die sie fressen; desgleichen schreien die Würger wie diese Geschöpfe
in höchster Todesnot. Die Amseln und Drosseln knacken wie die Schneckenhäuser,
die sie zerhacken. Die verschiedenen Finken machen das Geräusch aufspringender
Samen, und der Waldspecht imitiert das Klopfen an Holz, das er vollführt, um an
die Insekten heranzukommen, die er frißt.«
»Aber alle Vögel
geben sich doch nicht mit einem einzigen Ton zufrieden.«
»Nein, natürlich
nicht. Der Lockruf entsteht aus Nachahmung, und dann entwickeln sich die
verschiedenen Vogel-Lieder durch Wiederholung des Lockrufs und seine
Variationen.«
»Verstehe«,
sagte Archimedes kalt. »Und wie ist das bei mir?«
»Sieh mal, du
weißt doch«, sagte Merlin, »daß die Spitzmaus, auf die du stößt, ›Kwiit!‹
schreit. Deshalb rufen die Jungtiere deiner Spezies Kii-wit.«
»Und die Alten?«
erkundigte sich Archimedes sarkastisch.
»Huuruu,
Huuruu«, tönte Merlin, bemüht, die Oberhand zu behalten.
»Ist doch ganz
klar, mein Guter. Sie haben ihren ersten Winter hinter sich, und das ist der
Wind in den kahlen Bäumen, wo sie schlafen.«
»Verstehe«,
sagte Archimedes, noch reservierter als zuvor. »Diesmal also ist es, wie wir
feststellen, keine Frage des Beutetiers.«
»Na, nun aber…«,
entgegnete Merlin. »Es gibt doch wohl noch andere Dinge außer denen, die man
ißt. Sogar ein Vogel trinkt bisweilen, oder badet in einer Pfütze. So sind es
die fließenden Töne eines Flusses, die wir im Lied des Rotkehlchens hören.«
»Dann«, sagte
Archimedes, »geht es also nicht nur darum, was wir essen, sondern auch darum,
was wir trinken und hören.«
»Und warum
nicht?«
Die Eule sagte
resigniert: »Na schön.«
»Ich halt’ das
für eine interessante Idee«, sagte Wart, um seinem Lehrmeister beizuspringen.
»Aber wie entsteht aus diesen Nachahmungen eine Sprache?«
»Zuerst werden
die Imitationen wiederholt«, sagte Merlin, »und hernach werden sie variiert. Du
scheinst dir nicht klarzumachen, welch ungeheure Ausdrucksbreite im Tonfall
liegt, in der Betonung, im Sprechtempo. Nehmen wir mal an, ich sage: ›Was für
ein schöner Tag‹. Einfach nur so. Dann würdest du zur Antwort geben: ›Ja,
doch.‹ Wenn ich aber sage: ›Was für ein schöner Tag‹ – so richtig liebevoll und
zärtlich –, dann könntest du mich vielleicht für einen netten Kerl halten. Sage
ich jetzt aber: ›Was-für’n-schöner-Tag‹ – ganz atemlos – , dann würdest du dich
vielleicht umdrehen, um zu sehen, was mich in solche Angst versetzt hat. Siehst
du, und auf diese Art und Weise haben die Vögel ihre Sprache entwickelt.«
»Da Ihr so genau
Bescheid wißt«, sagte Archimedes, »würdet Ihr uns bitte erklären, wie viele
verschiedene Dinge wir Vögel auszudrücken vermögen, indem wir Tempo und
Betonung unserer Lockruf-Variationen modulieren?«
»Aber eine ganze
Menge. Du kannst Kiwitt zärtlich rufen, verliebt etwa, oder böse, oder
herausfordernd. Du kannst Kiii-wit rufen, aufsteigend, wenn du nicht weißt, wo
deine Gefährtin ist. Oder du willst Fremdlinge ablenken, die deinem Nest zu
nahe kommen. Und wenn du zur Winterszeit in die Nähe deines alten Nestes
kommst, rufst du vielleicht liebevoll Kiiwittt: ein bedingter Reflex auf die
Wonnen, die du einst darin genossen hast. Oder nehmen wir an, ich nähere mich
dir abrupt: dann wirst du verschreckt Kiwitt-kiwitt-kiwitt ausrufen.«
»Wenn wir zu
bedingten Reflexen kommen«, bemerkte Archimedes mürrisch, »dann such’ ich mir
doch lieber eine Maus.«
»Das darfst du
tun. Und
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