Der König der Diamanten
dachte, dass er in seinem ganzen Leben noch nie einen solchen Fanatiker kennengelernt hatte. So still Jacob zu Anfang auch gewesen war, jetzt wollte er gar nicht mehr aufhören zu reden. Es war, als sei ein Damm gebrochen, als bahnten sich jetzt die Wut und die Frustration einen Weg ins Freie, die sich über all die Monate angestaut hatten, in denen Jacob in seinem Zimmer gesessen, Zeitungsausschnitte gesammelt und seinen leidenschaftlichen Hass auf Titus Osman genährt hatte. Und der war ja mit ziemlicher Sicherheit völlig unschuldig. Vielleicht hatte Claes ja die Morde verübt, um seine kriminelle Vergangenheit zu vertuschen, aber nichts wies darauf hin, dass daran irgendjemand außer ihm und vielleicht noch seiner eigenartigen Schwester beteiligt war. Jacob war noch mehr auf Osman fixiert als Trave, dachte Clayton. Ihm fiel die Urkunde dieses Schützenvereins ein, die er auch dem Tisch gesehen hatte, und er fragte sich, ob Jacob womöglich eine Waffe hatte.
»Was haben Sie heute in Blackwater gemacht?«, fragte Clayton und machte damit zum ersten Mal den Mund auf. »Ich habe gesehen, wie Sie von den Bäumen aus das Haus beobachtet haben.«
Jacob dreht sich ruckartig zu Clayton, und seine Augen waren jetzt wieder voller Hass.
»Ich habe mich umgeschaut«, sagte er. »Weiter nichts.«
»Aber letzten Sommer sind Sie dort eingebrochen, stimmt’s? Und haben sich mit Claes geprügelt? Haben Sie deshalb Ihren Namengeändert? Für den Fall, dass er nach Ihnen sucht? Oder die Polizei?«
Jacob starrte Clayton finster an und drehte sich dann zu Trave. »Wer ist das?«, wollte er wissen. »Arbeitet er etwa für den Mann, der den Fall von Ihnen übernommen hat? Diesen Macrae?«
»Er gehört zu mir«, sagte Trave. »Und es ist sinnlos, den Einbruch zu leugnen. Die Brille in Ihrem Zimmer ist so eine wie die, die Ihnen Claes von der Nase geschlagen hat. Sie sind in Blackwater Hall eingebrochen, weil Sie Beweise gegen Osman suchten, richtig? Ich an Ihrer Stelle hätte wahrscheinlich das Gleiche getan.«
Jacob starrte trotzig vor sich hin und schwieg.
»Was unternahmen Sie eigentlich, als der Einbruch in die Hose ging?«, drängte Trave. »Was haben Sie als Nächstes gemacht?«
»Ich habe mit Katya gesprochen«, sagte Jacob matt.
»Ja«, sagte Trave fast tonlos. »Das habe ich mir schon gedacht.« Er hob die Hand ans Gesicht, drehte sich zum Fenster und sah hinaus in die Dunkelheit. Das Bild der toten Katya tauchte vor ihm auf. Ihre blonden Haare auf dem Kopfkissen, ihre eingefallenen Wangen, ihre schönen, aber leeren Augen. Sie musste sterben, weil sie etwas wusste, weil Jacob Mendel ihr aufgetragen hatte, danach zu suchen – weil er selbst nicht den Mut gehabt hatte, das Haus noch einmal zu betreten.
»Hätte ich das nur bleibenlassen«, sagte Jacob. Er spürte sehr wohl den Vorwurf, der in Traves Schweigen lag. »Gott ist mein Zeuge, dass ich mich verantwortlich fühle für das, was mit ihr passiert ist. Und mit Swain. Ich habe Kopien von allem, was ich über Claes gesammelt habe, an seinen Anwalt geschickt, aber ich bin nicht sicher, ob das etwas nützt …«
»Sagen Sie mir, was mit Katya passiert ist«, sagte Trave und ignorierte Jacobs Versuch, das Thema zu wechseln. »Vielleicht geht es Ihnen besser, wenn Sie es jemandem erzählen.«
»Ich habe sie bei Ethans Begräbnis kennengelernt, also wusste sie, wer ich bin«, sagte Jacob langsam. »Wir saßen in einem Caféhier in der Nähe, und ich habe ihr die Fotos von Claes gezeigt. Ich habe ihr alles über ihn erzählt, und sie wurde weiß, weißer als ich das überhaupt für möglich gehalten hatte – weiß und schweigsam. Und dann änderte sie ihre Meinung und glaubte mir. So wie sie davor geglaubt hatte, dass Swain es war. Denn so war sie – leidenschaftlich und voller Gefühl. Und natürlich schön: Ich verstand sehr gut, warum Ethan in sie verliebt war. Und ob Sie’s glauben oder nicht, ich musste sie nicht einmal auffordern, im Haus zu suchen. Sie kam von sich aus auf die Idee. In Osmans Schlafzimmer, in dem von Claes – dort, wo ich ja nie im Leben hingekommen wäre. Eine Woche später rief sie mich zur verabredeten Zeit an, um zu sagen, dass sie zwar nichts gefunden hätte, dass ich aber nicht aufgeben sollte, denn sie würde weitersuchen. Danach habe ich nichts mehr gehört … bis sie starb.«
»Wie lange? Wie lange haben Sie nichts gehört?«, fragte Trave.
»Drei oder vier Wochen. Ich weiß nicht mehr. Sie sagte, ich müsse geduldig sein, und
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