Der König der Diamanten
Trave ruhig. »Wegen Osman habe ich meinen Job verloren, aber ich vermute, das wissen Sie längst, oder?«, fuhr er fort und zeigte auf einen Zeitungsausschnitt an der Wand, in dem es um die Verhaftung von David Swain und seine eigene Suspendierung ging. »Wir beide, Sie und ich, wir sitzen im selben Boot. Aber sagen Sie, wie kommen Sie darauf, dass Ethan Osman geglaubt hat?«
»Es muss so gewesen sein. Er schrieb mir aus München, er hätte etwas Wichtiges herausgefunden, und flog dann zurück nach England, wo er Osman aufsuchte. Wenn er ihm nicht getraut hätte, hätte er das ja wohl nicht gemacht, oder? Er hatte etwas entdeckt, das irgendwie mit Osman zu tun hatte – deshalb wollte er mit ihm reden –, aber dabei handelte es sich nicht um etwas, das sein Vertrauen in dieses Schwein erschüttert hätte. Wäre das der Fall gewesen, würde er heute noch leben«, sagte Jacob unglücklich. Die Worte sprudelten aus ihm heraus, als sei er froh, die Gedanken, mit denen er sich so lange herumgequält hatte, endlich jemandem mitteilen zu können.
»Und Sie denken, die Information, auf die Ethan gestoßen ist, hat etwas mit Franz Claes zu tun?«, fragte Trave und sah hinüber zu der Wand mit den Fotos von Claes.
»Ja. Mit wem sonst? Claes war Osmans Kontaktmann bei der Geheimpolizei. So konnte er Juden rausschleusen oder sie eben auffliegen lassen.«
»Sie wollen also sagen, dass Ethan etwas entdeckt hat, das Claes belastet? Und dass er dies Osman mitgeteilt hat, welcher daraufhin Ethan umbrachte und es so aussehen ließ, als sei David Swain der Mörder?«, fragte Trave, indem er seine Gedanken langsam und Schritt für Schritt artikulierte.
»Ganz genau. So und nicht anders war es«, sagte Jacob leidenschaftlich.»Das weiß ich. Ich kann es nur nicht beweisen. Claes ist der Schlüssel. Was ich beweisen kann, ist, dass er vor dem Krieg bei den belgischen Faschisten war. Dass er nach der deutschen Invasion aus der Armee ausgemustert wurde und für das Innenministerium arbeitete. Dass er mit dem A. J. B. verhandelte, der
Association des Juifs de Belgique
– oder dem ›Judenrat‹, wie das bei uns hieß. Und dass er mit der Geheimpolizei zu tun hatte …«
»Sipo SD?«, fragte Trave und zeigte erneut auf die Wand, diesmal auf das Foto von Claes und den beiden uniformierten Deutschen.
»Ja. Ernst Ehlers, der Mann rechts, war Chef der Gestapo in Belgien. Der andere, Kurt Asche, kommandierte deren anti-jüdische Abteilung. Aber Claes hatte da irgendwie die Finger mit drin. Was er genau getan hat, weiß ich nicht. Und was ich über ihn habe, reicht nicht aus. Ich weiß nicht mal, ob er wirkliche Verbrechen begangen hat. Sein Geheimnis ist nicht so groß, dass man dafür töten müsste. Nein, was Ethan herausgefunden hat, hatte mit Deutschland zu tun, nicht mit Belgien. Aber in Deutschland habe ich nichts herausgekriegt. Irgendetwas ist da aber. Das weiß ich«, sagte Jacob, ohne seine Enttäuschung zu verbergen.
»Warum?«, fragte Trave. »Warum sind Sie so sicher?«
»Weil Claes Ende 1943 verschwunden ist, zufälligerweise kurz nachdem meine Eltern an der französischen Grenze verhaftet wurden, wobei ich nicht weiß, ob da ein Zusammenhang besteht. Dann verläuft sich seine Spur bis zu dem Zeitpunkt, an dem er ein paar Jahre nach dem Krieg hier auftaucht und wie die Made im Speck mit Titus Osman zusammenlebt. Aber das ist noch nicht alles. Er ist auch ein Mann ohne jede Vorgeschichte. Es gibt nichts über ihn, auch nicht über seine Schwester. Erst ab 1931, als er zum Militär ging. Keine Geburtsurkunde, nichts. Er stammt irgendwo anders her. Woher, weiß ich nicht. Aber genau dorthin ging er 1943 vielleicht zurück.«
»Nach Deutschland?«
»Warum nicht? Aber weder dort noch irgendwo anders in Europa gibt es eine Spur von ihm. Und in Belgien habe ich sämtlicheBehörden abgeklappert und jedes Dokument gelesen, das ich in die Finger kriegen konnte. Ohne Unterstützung der Behörden kommt man in der Sache nicht weiter, und das Ganze wird nicht gerade leichter durch die Tatsache, dass man sich in meiner Heimat kein bisschen für die Aufklärung der Besatzungszeit interessiert. Man will nach vorne blicken, nicht nach hinten. Vermutlich liegt das daran, dass eine Menge Leute Kollaborateure der Nazis waren. Die belgische Polizei hat bei der Suche nach den Juden geholfen, müssen Sie wissen. Genau wie in Frankreich.«
Jacobs Stimme war erfüllt von Bitterkeit, und Clayton, der von der Türe her das Gespräch verfolgte,
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