Der König der Diamanten
nichts erkennen,und mit der Taschenlampe nachzusehen, traute er sich nicht. Von einem der Bäume drang der Ruf einer Eule herüber, doch abgesehen davon war es vollkommen still. Bis die Glocken der Kirche von Blackwater anfingen, sieben zu schlagen. Wie auf Kommando ging im Wagen Licht an. Ein paar Augenblicke später stieg der junge Polizist aus und ging erneut die Treppen zum Eingang hinauf. Diesmal klopfte er nicht. Er machte irgendetwas anderes – was genau, konnte Jacob in der Dunkelheit nicht erkennen. Als er fertig war, ging er zurück zum Auto und fuhr davon.
Jacob hielt die Luft an. Die Abendmesse dauerte in der Regel nicht sehr lange, deshalb war es gut möglich, dass Claes und Jana sich bereits auf dem Heimweg befanden. Vielleicht trafen sie sogar in der Einfahrt auf den Wagen des Polizisten, und dann war alles verloren. Aber es war nichts zu hören. Wie zuvor war er vollkommen allein. Vorsichtig schlich er über den Hof und die Stufen hinauf. Ein zusammengefalteter Zettel steckte im Briefschlitz. Jacob stieß einen Seufzer der Erleichterung aus: Offenbar hatte der junge Beamte gedacht, seine Nachricht würde Osmans Aufmerksamkeit eher so erregen, als wenn er sie ganz hineingeschoben hätte. Jacob hob vorsichtig den Deckel des Briefschlitzes und nahm den Zettel.
Außen stand nicht nur »An Titus Osman/Franz Claes«, sondern außerdem der Zusatz »Dringend«. Innen folgten vier Sätze, die unterzeichnet waren mit »Adam Clayton, Detective Constable«.
Ich habe auf Sie gewartet, aber Sie waren unterwegs. Ich wollte Ihnen mitteilen, dass Ethan Mendels Bruder Jacob derjenige war, der letzten Sommer bei Ihnen eingebrochen ist, und dass er es wahrscheinlich wieder probieren wird. Er ist bewaffnet und gefährlich. Bitte rufen Sie im Polizeirevier an, sobald Sie dies lesen.
Jacob steckte den Zettel in die Tasche und lächelte zum ersten Mal an diesem Tag. Er war sich absolut sicher: Morgen würde er finden, was er suchte, denn er war dafür bestimmt. Von der Einfahrt untenhörte man jetzt ein Auto herankommen, und Jacob sah Claes und seine Schwester aussteigen und ins Haus gehen. Mit einem zufriedenen Lächeln drehte er sich um und ging den Weg hinunter zum Bootshaus.
Clayton hätte gern länger gewartet. Er teilte keineswegs Traves Meinung, nach der von Jacob keine unmittelbare Gefahr ausging, aber ihm leuchtete ein, dass er schleunigst seine Einheit im Polizeirevier alarmieren und über die Vorgänge in Kenntnis setzen musste. Informationen über Jacob weiterhin zu unterdrücken, stand außer Frage. Der Mann war bewaffnet, hatte einen Einbruchsversuch in Blackwater Hall unternommen und beabsichtigte nach eigener Aussage, das wieder zu tun.
Clayton fuhr über Nord-Oxford zurück in die City, um Trave zu Hause abzusetzen, bevor er zum Polizeirevier fuhr. Trave musste am Montagnachmittag an Swains Prozess teilnehmen und aussagen, deshalb verabredeten sie sich für den kommenden Abend.
Auf dem Polizeirevier war so gut wie niemand – was Sonntagabends auch nicht wirklich verwunderlich war. Clayton versuchte ohne Erfolg, Macrae und Creswell ans Telefon zu kriegen, außerdem sagte ihm die Vermittlung, dass die Verbindung zu Osman gestört sei und man erst am nächsten Morgen etwas unternehmen könne. Clayton trank schwarzen Kaffee und tippte eine Stunde lang an einem Bericht über die Ereignisse des Tages, doch mittendrin wurde er so müde, dass er über der Schreibmaschine einschlief und erst weit nach Mitternacht wieder geweckt wurde, als die Kollegen von der Nachtschicht zwei erboste Trunkenbolde einlieferten. Mittlerweile war es zu spät, um nach Blackwater zu fahren und Osman zu wecken. Außerdem hätte sich bei irgendwelchen Problemen bestimmt jemand auf dem Revier gemeldet. Er schärfte dem wachhabenden Beamten ein, ihn über alles sofort zu informieren, und fuhr dann langsam nach Hause, wobei er denkalten Fahrtwind durchs offene Fenster hereinließ, um wach zu bleiben. Daheim machte er sich ein Sandwich, stellte dann den Wecker und sank ins Bett. Doch er schlief unruhig und träumte von Menschen, die in seiner Obhut standen und denen dennoch schreckliche Dinge zustießen – weil er stets eine Minute zu spät kam, um das zu verhindern.
Jacob erwachte, als auf sein Gesicht die ersten Strahlen der Wintersonne fielen, die über der graublauen Oberfläche von Blackwater Lake aufging und in das Fenster von Osmans verlassenem Bootshaus hereinschien. Von der Kälte und dem harten Holzboden
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