Der König der Diamanten
bewahren und abzuwarten, was als Nächstes passierte.
Jacob verfluchte seine eigene Dummheit. Warum hatte er nur heute Morgen herkommen müssen? Montag wäre der richtige Tag gewesen, und wenn er daheimgeblieben wäre, hätte der junge Detective ihn nie im Leben entdeckt. Natürlich war es jetzt viel zu spät, sich darüber zu ärgern. Was passiert war, war nun einmal passiert. Das Haus zog ihn an wie ein Magnet – das war das Problem.Heute Nacht würde er im Bootshaus schlafen. Dort fühlte er sich seinem Bruder am nächsten. Dort war Ethan glücklich gewesen. Und dort war er gestorben, kaltblütig ermordet von diesen beiden Schweinen, die bereits ihre Eltern ins Gas geschickt hatten. Wut und Hass überwältigten Jacob für einen Moment, doch er riss sich zusammen. Er war nicht den ganzen Weg gekommen, um zuzulassen, dass seine Gefühle ihn jetzt von seinem Vorhaben abhielten.
Zehn nach sechs ging plötzlich die Lampe über der Eingangstüre an, und einen Augenblick später erschienen Claes und seine Schwester auf der Eingangstreppe, gefolgt von Osman im Smoking. Jacob konnte durch sein Fernglas sehen, wie sie alle in den Bentley einstiegen. Was Jana Claes vorhatte, wusste er, denn sie trug schwarze Kleidung und eine spitzenbesetzte Mantille über dem Kopf, und in der Hand hatte sie ein abgegriffenes Gebetbuch. Am vorigen Sonntag war er ihr zum Abendgottesdienst in St. Aloysius gefolgt, hatte sich in der großen, widerhallenden Kirche zwei Reihen hinter sie gesetzt und verfolgt, wie die kleine Gemeinde niederkniete und Weihrauch die Luft erfüllte. Morgens und abends Messe – an den Sonntagen schien Claes ganz schön eingespannt zu sein, dachte Jacob hämisch. Ständig musste er seine Schwester hin- und herfahren, damit sie die Sünden ihrer Familie beichten und um Vergebung bitten konnte. Und Osman musste er ja auch noch herumkutschieren. Am heutigen Tag sah der Herr des Hauses aus, als sei er zu einem Gala-Dinner in der City unterwegs, wo man ihn zweifellos wie einen Monarchen behandeln würde. Jacob hatte gründlich nachgeforscht und wusste, wie Osman sich im Verlauf der vergangenen fünfzehn Jahre seine Stellung innerhalb der High Society von Oxford erarbeitet hatte. Mit strategischem Geschick hatte er sein zusammengestohlenes Geld immer wieder für wohltätige Spenden eingesetzt und sich so ein derartiges Ansehen erkauft, dass ein gesellschaftlicher Anlass, bei dem Titus Osman nicht Ehrengast war, in der Stadt als Misserfolg galt.
Das Scheinwerferlicht streifte kurz über die Bäume, als Claes aus dem Hof steuerte, dann war der Wagen in der dunklen Einfahrt verschwunden. Jacob wartete einen Moment. Er wusste, dass das Haus mit ziemlicher Sicherheit leer war – das Personal wohnte nicht hier. Dies war die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte, und trotzdem zögerte er. Es konnte ja sein, dass Claes unerwartet umdrehte und ihn erwischte. Jacob hasste ihn abgrundtief, hatte aber auch Angst vor ihm. Er erinnerte sich gut daran, wie drahtig und stark der Kerl war, schließlich hatten sie beide ja letzten Sommer in Osmans Arbeitszimmer gekämpft. Er hatte gerade noch fliehen können.
Trotzdem musste er es jetzt darauf ankommen lassen. Die Gelegenheit war einfach zu günstig. Er betrat den Rasen und spürte das gefrorene Gras unter seinen Füßen knirschen. Er hatte gerade das Haus erreicht, als er innehalten und sich mit dem Rücken an die Hausmauer pressen musste: Ein Wagen fuhr in den Hof. Jacob blinzelte vorsichtig um die Ecke des Hauses und sah zwei Männer die Eingangstreppe hinaufgehen und an der Eingangstüre klopfen. Das hatte er befürchtet: So schwach der Mond auch schien, konnte Jacob doch den Inspector und seinen jungen Kollegen erkennen. Sie hatten sich schneller befreien können als erhofft.
Trave unterbrach für einen Augenblick sein Geklopfe, um gleich darauf noch energischer weiterzumachen. Dann übernahm dies der junge Polizist. Jacob befürchtete schon, sie würden überhaupt nicht mehr aufhören, doch irgendwann gaben sie auf und gingen wieder zu ihrem Auto. Die Türen wurden zugeschlagen, und Jacob wartete gespannt darauf, dass der Motor anging, aber nichts dergleichen passierte. Es sah verdammt danach aus, als würden die beiden im Auto sitzen bleiben, um auf Osman und Claes zu warten. Und es gab nichts, was Jacob tun konnte. Außer in der Kälte herumzustehen und sie zu beobachten.
Die Minuten verstrichen so langsam, dass es kaum auszuhalten war. Im Dunkeln konnte Jacob auf seiner Uhr
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