Der König der Diamanten
tat ihm alles weh, aber er ignorierte den Schmerz. Denn er konzentrierte sich auf das, was vor ihm lag. Heute war sein Tag – dessen war er sich sicher. Und er hatte recht. Kurz nach sieben verließen Osman und Claes das Haus in Anzug und Mantel und stiegen in Osmans Bentley. Von Claes’ Schwester war nichts zu sehen. Offensichtlich war sie heute nicht vorgeladen, um ihre Aussage zu machen. Oder die Staatsanwaltschaft verzichtete ganz darauf. Darüber konnte Jacob nur rätseln, aber letzten Endes spielte es auch keine Rolle. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr gewann er die Überzeugung, dass ihre Anwesenheit im Haus eigentlich von Vorteil war. Anders als ihr Bruder trug sie mit Sicherheit keine Waffe, und um eine Alarmanlage würde er sich auch nicht kümmern müssen. Da Jacob bereits die Telefonleitung gekappt hatte, bestand keine Gefahr, dass ein Notruf ans Polizeirevier ging. Die Bahn war also frei. Er musste nichts tun außer zu warten, bis Osman und Claes abfuhren, dann die Stufen der Eingangstreppe hinaufzusteigen, zu klopfen und brav stehenzubleiben, bis man ihn einließe.
Jana öffnete sofort. Sie trug wie immer ein langes, schwarzes Wollkleid, und ihre Haare saßen perfekt – offenbar war sie schon eine ganze Weile auf den Beinen.
»Kennen Sie mich noch?«, fragte Jacob grob, indem er sie in die Eingangshalle zurückstieß und die Türe mit der Hand hinter sich schloss.
Jana antwortete nicht. Ängstlich ging sie ein paar Schritte nach hinten und blickte dabei mit weit aufgerissenen Augen von links nach rechts, als könne sie vielleicht doch irgendwie entkommen. Jacob musste lachen. Ihm gefiel, dass sie Angst hatte. Er wusste nicht, wie sehr sie in die Dinge verwickelt war, die sich hier ereignet hatten. Aber sie war die Schwester von Claes, und das allein war schlimm genug.
»Es liegt wohl am Bart. Aber bedenken Sie, dass Haare im Gesicht einen Menschen völlig verändern«, sagte Jacob. »Keine Idee? Na, dann helfe ich Ihnen auf die Sprünge«, fuhr er fort und betrachtete genüsslich, wie Janas Hände zitterten. »Ich war letzten Sommer schon einmal hier und hatte in Titus’ Arbeitszimmer ein kleines Rendezvous mit Ihrem Nazi-Bruder. Na? Klingelt es langsam?«
»Was wollen Sie?«, fragte Jana fast schon stotternd. Ihre Stimme war rauh.
»Was ich will? Alles«, sagte Jacob mit einem eisigen Lächeln. »Ich will wissen, wo Sie waren, als Katya starb, ob Sie irgendetwas mit dem Mord an meinem Bruder zu tun haben, was Sie während des Krieges gemacht haben – all Ihre kleinen Sünden und Geheimnisse. Aber das werden Sie mir alles gar nicht erzählen, stimmt’s? Außer natürlich, ich zwinge Sie dazu. Aber Sie haben Glück – dafür ist keine Zeit. Deshalb sagen Sie mir einfach, wo Titus seine Unterlagen aufbewahrt. Nicht die Telefonrechnungen, die wichtigen Papiere. Sie wissen schon, was ich meine.«
Jacob sah Jana direkt in die angsterfüllten Augen, doch sie schwieg und bewegte nur langsam den Kopf hin und her.
»Sie wollen es mir nicht sagen? Dann zeigen Sie es mir.« Jacob packte Janas Handgelenk und zog sie mit sich durch die Eingangshalle. »Los, wir fangen im Arbeitszimmer an. Wo das ist, weiß ich ja.«
Im Arbeitszimmer ließ er sie los und ging zum Schreibtisch. Zu seiner Überraschung waren die Schubladen bis auf die in der Mitte oben unverschlossen. Er zog eine nach der anderen heraus und untersuchte, was drin war. Jana stand reglos an der Seite und sah aus, als müsste sie zusehen, wie eine Kirche geschändet wird. Aber da war nichts. Füller, Kugelschreiber und Büromaterial, Schreibpapier mit Briefkopf und einem goldenen Wappen, als sei Osman eine Art Lord, ein Stapel Bankauszüge – lauter Sachen, die ihn nicht interessierten.
Es blieb nur die obere Lade. Jacob verzichtete darauf, Jana nach dem Schlüssel zu fragen. Stattdessen nahm er den Revolver aus der Tasche, trat einen Schritt zurück, zielte genau auf das Schlüsselloch und drückte ab. Jana schrie panisch auf, doch ohne auf sie zu achten, wischte er Staub und Holzsplitter beiseite und öffnete die Schublade. Scheckhefte und Osmans Reisepass lagen da, außerdem ein Silberrahmen mit einem Bild von Katya, ausgerechnet. Er fasste es nicht an, denn die Kugel hatte das Glas zertrümmert.
»Wo sind sie: Die Papiere, die Diamanten?«, fragte Jacob wütend und sah Jana eindringlich an. Sie war jetzt ganz weiß im Gesicht und spielte nervös mit dem silbernen Kruzifix am Hals. Das machte sie offenbar immer, wenn sie
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