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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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absuchen, und zwar so gründlich, wie der Nebel das eben zuließ. Und obwohl Wale sich beschwerte und das als eine »bekackte Zeitverschwendung« bezeichnete, fuhr Clayton wieder zurück an die Straße und stellte den Wagen an der Stelle ab, wo der Weg zumBootshaus abging. Er ließ Wale im Wagen sitzen, kletterte über den Zaun und verschwand im Nebel.
     
    Im Esszimmer von Blackwater Hall rutschte Vanessa unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Die Ankunft der Polizisten hatte Titus ziemlich in Aufregung versetzt, und er und Claes unterhielten sich eifrig über Jacobs Verbleib. Vanessa wusste, dass sie jetzt handeln musste. Vielleicht gab es ja gar kein Tagebuch, aber bald würde sie wahrscheinlich der Mut verlassen.
    Sie erhob sich vom Tisch und sagte beiläufig, sie gehe sich die Hände waschen. Titus hob kurz die Hand zum Einverständnis, Claes hingegen redete weiter, als würde er ihr Gehen gar nicht bemerken. Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, ging sie schnell den Gang entlang zur Eingangshalle und lief von dort die Treppe hinauf in den ersten Stock. Dort angekommen, sah sie, dass der Gang sowohl nach links als auch nach rechts führte. Dies war nicht der oberste Stock, das wusste sie, aber wo die Treppe war, konnte sie nicht sehen. Auf Verdacht rannte sie nach rechts, um dann hinter einer Ecke zu finden, wonach sie gesucht hatte – eine Treppe nach oben. Sie nahm zwei Stufen auf einmal und erreichte einen weiteren Gang, der allerdings viel schmaler war als der unten. Vorsichtig schritt sie an einer Tür nach der anderen vorbei, bis sie etwa die Hälfte des Korridors hinter sich hatte. Sie schob die halbgeöffnete Türe zu ihrer Linken ganz auf und sah ein Bett, aber kein Bücherregal. War das Katyas Zimmer gewesen? Hatte man das Regal womöglich woanders hingeräumt? Und die Mädchenbücher verkauft oder weggeworfen? Jetzt aufzugeben wäre ein Verbrechen. Die nächste Türe konnte man ja auch noch als mittig durchgehen lassen. Vanessa drückte die Klinke nach unten, und da war es, direkt vor ihr – ein altes, braunes Regal, randvoll mit Büchern unterschiedlicher Größe, und obenauf ein gerahmtes Bild von einem Ehepaar mittleren Alters am Meer.
    Vanessa machte die Türe zu und begann zu suchen. Bill hatte gesagt, das Buch sei dick, deshalb konnte sie die oberen beiden Fächer übergehen. Die waren niedriger als die darunter und enthielten fast ausschließlich abgegriffene Taschenbücher. Wenn überhaupt, befand sich das Buch in einem der beiden unteren Fächer. Sie zog die dicken Schmöker nacheinander heraus und blätterte sie durch. Binnen kurzem hatte sie einen ordentlichen Bücherstapel neben sich auf dem rubinroten Teppich. Aber die Zeit drängte. Claes würde die Treppe heraufkommen und sie finden, und sie würde kein Erklärung haben. Ihre Hände zitterten, als sie sich dem untersten Fach zuwandte. Immer noch nichts: Tolstois
Krieg und Frieden
; der vierte Band eines Lexikons für Kinder; ein Weltatlas, der ohne Probleme ein Tagebuch in seinem Inneren verbergen konnte; ein Buch mit Van Goghs Bildern. Doch dann, als sie die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, entdeckte sie ganz hinten im Regal – quergestellt – eine gebundene Ausgabe von Lewis Carrolls
Alice im Wunderland
. Sie erkannte das Buch, denn sie hatte es als Kind auch besessen. Und instinktiv wusste sie, dass es das war, nach dem sie suchte. Es war mit Absicht da hinten versteckt.
    Sie setzte sich hin, blätterte die ersten Seiten um, die, auf denen Alice in den Brunnen fällt, und da war es – ein kleines, rotes Büchlein, nicht größer als ihre Hand, sauber eingepasst in die einstmals so schöne Ausgabe von
Alice im Wunderland
. Mit der Spitze ihres Fingernagels hob Vanessa den Buchdeckel an und überflog die Inschrift auf der ersten Seite:
     
    Katya Osman
    Mein Tagebuch
    Nicht weiterlesen
     
    Das Tagebuch existierte wirklich. Bill hatte recht gehabt. Das Einzige, was sie jetzt tun musste, war, es aus dem Haus zu schaffen. Sie wusste, dass ihr die Zeit davonlief, und stellte deshalb so rasches ging alle Bücher zurück an ihren Platz. Niemand würde bemerken, dass sie bewegt worden waren. Vanessa stand auf, öffnete die Tür und hatte auf einmal Jana Claes vor sich.
    Seit ihrer Ankunft hatte sie kein einziges Mal an Claes’ schweigsame Schwester gedacht. Bei all ihren Besuchen in Blackwater Hall hatte sie die Frau kaum zu Gesicht bekommen, und heute waren all ihre Gedanken ausschließlich um Claes gekreist. Vanessa verfluchte

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