Der König der Diamanten
Beispiel. Hast du die Sache verfolgt, Vanessa?«
»Ja, ein bisschen.« Vanessa wollte es nicht zugeben, aber sie hatte sich intensiv mit Adolf Eichmann beschäftigt, seit der israelische Geheimdienst ihn im Mai des vorigen Jahres in Buenos Aires entführt hatte. In Jerusalem stand jetzt sein Prozess an, was bedeutete, dass den Millionen Männern, Frauen und Kindern, die dieses Ungeheuer aus ganz Europa zusammengesammelt und in die Vernichtungslager geschickt hatte, wenigstens ein kleines bisschen Gerechtigkeit widerfahren würde.
»Vielleicht gibt es ja auch noch andere Kriminelle, deren Taten so, wie sagt man hier, ruchlos sind – ja, genau –, dass nur die Höchststrafe angemessen ist«, fuhr Titus genauso bedächtig fort, als sei er Teilnehmer einer Podiumsdiskussion. »Oder wie siehst du das, Franz?«
Vanessa wandte sich zu Claes und konnte sehen, dass sich auf seinen Wangen leuchtend rote Flecken bildeten und er die Hände zu Fäusten geballt hatte. Er sah Titus in die Augen, ohne etwas zu erwidern.
»Nun, vielleicht sollten wir das Thema wechseln und über angenehmere Dinge plaudern«, sagte Titus und zuckte mit den Schultern. »Hast du wieder etwas gemalt, Vanessa?«
Aber Vanessa konnte nicht antworten. Es klingelte an der Türe, und eine Minute später standen Detective Clayton und Constable Wale im Wohnzimmer.
»Verzeihen Sie bitte die Störung, Sir«, sagte Clayton betreten. »Ich wollte Ihnen nur sagen, dass wir jetzt hier sind und uns ein bisschen umsehen.« Er richtete seine Worte an Titus Osman, sah aber herüber zu Vanessa, als sei er vollkommen überrascht, sie hier vorzufinden.
»Danke. Ich weiß Ihre Sorge um uns sehr zu schätzen, Detective«, sagte dieser. »Gibt es einen bestimmten Anlass, weshalb Mr. Mendel gerade heute hier auftauchen könnte?«, fragte er dann in einem vermeintlich beiläufigen Ton, aus dem Vanessa eine ernsthafte Sorge heraushören konnte.
»Nun, bei dem Gespräch in seiner Wohnung letztens habe ich den Eindruck gewonnen, er würde dem Ausgang des Prozesses größte Bedeutung beimessen«, sagte Clayton, seine Worte sorgfältig abwägend.
»Bedeutung? Welche Bedeutung?«, fragte Claes.
»Also, er sagte, wenn man Mr. Swain zum Tode verurteilen würde, dann ›haben sie gewonnen‹ – ›dann stehen sie mit weißer Weste da‹. Das waren seine Worte«, sagte Clayton zögerlich. »Er deutete an, dass er dann nichts mehr zu verlieren hätte.«
»Und diese ›sie‹ sind natürlich wir, richtig?«, sagte Osman und lächelte nachsichtig. »Ich muss sagen, das klingt alles ziemlich verworren, Detective. Ich hoffe doch, dass Sie und Constable Wale diesen Mann finden, bevor er weiteren Unfug anstellt.«
Vanessa sah an Clayton vorbei zu Wale, der in der Tür stehengeblieben war. Sie erinnerte sich jetzt an ihn. An dem Tag, als sie zu Macrae aufs Polizeirevier gegangen war, hatte er sie wieder hinausbegleitet. Damals hatte er genauso gemein und anzüglich gegrinstwie jetzt. Es kam ihr vor, als würde er sie in Gedanken ausziehen, und sie drehte sich angewidert weg.
»Ist alles in Ordnung, Mrs. Trave?«, erkundigte sich Clayton, der Vanessas grimmige Miene bemerkte, ohne den Grund dafür zu verstehen.
»Es geht mir gut, danke«, sagte sie, ohne ihn anzusehen. Sie wusste genau, dass Claes quer über den Tisch zu ihr herüberstarrte.
»Verfluchte Ausländer! Die haben doch immer Glück«, sagte Wale, kaum dass sie wieder draußen waren. »Ich wette, Trave tut sich nachts ganz schön schwer mit dem Einschlafen, wo er doch weiß, dass seine bessere Hälfte hier mit Mister Casanova kuschelt. Sieht ganz schön flott aus für ihr Alter.«
»Seien Sie still, Jonah. Und behalten Sie Ihre schmutzigen Gedanken für sich«, sagte Clayton ärgerlich.
»Ist ja gut, immer schön ruhig bleiben«, sagte Wale und setzte sich neben Clayton in den Polizeiwagen. »Sie verstehen wohl gar keinen Spaß?«
Clayton schwieg und spürte, wie die Federung des Autos unter Wales Gewicht nachgab. Er wollte nicht beleidigt wirken, denn er wusste, dass er Wale damit nur anspornen würde, sich weiter über ihn lustig zu machen. Auch nach einer ganzen Woche in der Gesellschaft dieses Mannes konnte er sich nicht an dessen boshafte, vulgäre Art gewöhnen.
Dass die Suche nach Jacob bislang erfolglos geblieben war, trug zu Claytons Stimmung auch nicht besonders bei. Immerhin hatte er das starke Gefühl, dass Jacob sich heute zeigen würde – wenn überhaupt. Deshalb wollte er unbedingt das Gelände
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