Der König der Diamanten
auf die Art von seiner Unschuld überzeugen.
»Wie weit reichen die zurück?«, fragte Jacob und sah von den Blättern auf, auf denen in schwarzer und roter Tinte die Namen, Termine und Summen aufgelistet waren.
»Dieses hier vier Jahre«, sagte Osman. »Die anderen beiden je fünf Jahre.«
»Vierzehn Jahre also. Und davor?«
»Ich habe keine Unterlagen aus der Zeit, bevor ich nach England kam. Damals war Krieg, weißt du«, sagte Osman.
»Nichts weiß ich. Du lügst«, sagte Jacob wütend. Er hatte fest damit gerechnet, dass dieser dämliche Safe die Lösung bringen würde, und jetzt war da gar nichts drin. Trave hatte recht gehabt. Hier in Blackwater Hall gab es nichts – keinen Beweis, kein Indiz, gar nichts. Zumindest nichts, was er ohne Osmans Hilfe entdecken konnte. Und diese Hilfe würde er nur bekommen, wenn Osman davon überzeugt war, dass Jacob andernfalls Ernst machen würde. Jacob musste ihm das klarmachen. Unter allen Umständen.
»Auf die Knie«, befahl er, indem er einen Schritt zurück machte und Osman die Waffe wieder an den Kopf hielt.
Der konnte in Jacobs Augen erkennen, dass er jetzt wirklich bereit war abzudrücken, und hatte zum ersten Mal in seinem Leben echte Todesangst. Sterben wollte er auf keinen Fall. Nicht jetzt, wo er endlich alles hatte, wonach er sich immer gesehnt hatte. Er nahm eine Handvoll der seidenen Säckchen aus dem Safe, öffnete ihre Verschlussbänder und ließ funkelnde Diamanten in allen möglichen Größen, Farben und Schnitten in seine geöffnete Hand kullern, die er dann Jacob entgegenstreckte.
»Hier. Nimm sie«, sagte er. »Es gibt noch mehr, viel mehr. Ich kann sie für dich verkaufen, wenn du willst. Die sind Millionen wert, mehr als du dir vorstellen kannst.«
Jacob betrachtete die glitzernden Diamanten auf Osmans ausgestreckter Hand und fühlte sich, als müsse er sich gleich übergeben. Die Mitglieder seiner Familie fielen ihm ein, die sterben mussten, nur damit Osman diese Diamanten in seinen Besitz bringen konnte. Er wurde so wütend, dass er eine Bewegung nach vorne machte und Osman die Diamanten mit einer raschen Bewegung aus der Hand schlug. Die Steine sprangen in alle Richtungen über den blauen Axminster-Teppich, und Osman betrachtete sie einen Moment lang völlig ungläubig, als könne er gar nicht fassen, dass jemand etwas derart Vollkommenes mit solcher Verachtung behandelte. Doch dann blickte er auf, sah in Jacobs kalte graue Augen und wusste plötzlich wieder, wo er war.
»Auf die Knie«, befahl Jacob ein zweites Mal.
Aber Osman gab nicht nach. Er wusste, was geschehen würde, sobald er sich niederkniete. Und Beihilfe zu seinem eigenen Tod würde er gewiss nicht leisten. Er schloss die Augen und bat Gott, an den er gar nicht glaubte, um Beistand. Und als sei sein Gebet erhört worden, war draußen plötzlich das Heulen einer Polizeisirene zu hören, gefolgt von Geräuschen eines Wagens, der im Eiltempo die Einfahrt heraufgefahren kam. Auf einmal war der Nebel vor dem Fenster von flackernd blauem Licht erleuchtet. Türen wurden geöffnet – die des Wagens und die am Eingang, und wenige Sekunden später ertönte von unten eine vertraute Stimme: »Kommen Sie heraus, Jacob Mendel! Wir wissen, dass Sie da drin sind. Kommen Sie jetzt heraus!«
Jacob hielt die Waffe weiterhin auf Osman gerichtet und ging quer durchs Zimmer, um durch das kaputte Fenster einen Blick hinunter in den Hof zu werfen. Der Nebel hatte sich ein wenig gelichtet, und im Licht der Scheinwerfer konnte er so ungefähr erkennen, wer da unten stand. Der junge Detective, der ihm gemeinsam mit Trave in der Wohnung aufgelauert hatte, war der, der gerufen hatte. Ein paar Meter entfernt, auf der anderen Seite des Brunnens, stand ein ihm unbekannter, vierschrötiger Mann inPolizeiuniform. Hinter den beiden rannten zwei Personen, bei denen es sich nur um Jana Claes und das Hausmädchen handeln konnte, auf die Einfahrt zu.
Jacob trat fluchend vom Fenster weg. Erst dann bemerkte er, dass Osman sich wieder zu voller Größe aufgerichtet hatte und die Brust herausstreckte, als ob er vor nichts Angst haben müsste – als ob er jetzt einfach wieder Titus Osman sei, der König der Diamanten. Jacob musste lachen: Osman verstand offenbar nicht, dass die Anwesenheit der Polizisten nicht ihm nutzte, sondern Jacob. Sie würden Zeugen von seinem Geständnis sein. Jacob war dankbar, dass sie da waren.
»Rüber da ans Fenster«, befahl er und hielt Osman den kalten, harten Lauf der Pistole an den
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