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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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schloss fest die Augen und spannte in Erwartung dieses Augenblicks den ganzen Körper an.
     
    Am übernächsten Abend begannen sie im Dunkeln und beim Schein der Taschenlampen an ihren Kopfattrappen zu basteln. Eddie hatte mittlerweile alles Nötige zusammengetragen, und David war wieder einmal beeindruckt von der Findigkeit seines Zellengenossen. Er hatte Karotten und Mehl aus der Küche besorgt, außerdem noch ein blauweißes Gefängnishemd aus der Wäscherei, das er in kleine Stücke gerissen hatte.
    »Das ist für das Innere der Köpfe, sobald ich das Äußere fertighabe«, sagte Eddie, der in der Ecke über das Waschbecken gebeugt stand und seine Zutaten zusammenrührte. Seite für Seite riss er aus O’Briens
Jesus für Häftlinge
und arbeitete sie mit kundigen Händen in einen Brei aus Mehl und Wasser ein, um Pappmaché herzustellen.
    »Und wofür brauchst du die Karotten?«, fragte David neugierig.
    »Damit die Gesichter etwas Farbe kriegen.«
    »Und was ist mit den Haaren?«
    »Pinsel! Ich hab gestern Abend zwei aus dem Freizeitraum mitgehen lassen. Die Handwerker lassen sie da, wenn sie heimgehen«, sagte Eddie und sah noch selbstzufriedener aus als sonst, während er seine Matratze zurückrollte und so sein Diebesgut zum Vorschein kommen ließ. »Du kannst schon anfangen, die Borsten auszureißen, während ich das hier mache.«
    »Und wie war es drüben?«, fragte David. Sie hatten eine Weile schweigend gearbeitet, und David, der mit dem einen Pinsel fertig war, nahm sich jetzt den zweiten vor.
    »Großartig«, sagte Eddie, indem er seine ziemlich falsch gesummte Version von Elvis Presleys »Love me tender« unterbrach und vom Waschbecken aufblickte. »Sie haben dort oben jede Menge Abdecktücher, was gut ist, denn unsere hier können wir nicht verwenden – die brauchen wir hier, um die Attrappen zuzudecken. Das Gerüst reicht bis fast zur Decke, genau wie wir es brauchen, und in einer Ecke steht ein angeknackster Drehstuhl, der einen tollen Wurfhaken abgibt. Du weißt schon, um über die erste Mauer zu kommen. Die Sache sieht gut aus, Davy, ziemlich gut.«
    Eine Stunde später hatte Eddie den ersten Kopf fertig. Er hatte Nase und Ohren geformt und hantierte nun mit einer Tube Klebstoff, die er weiß Gott wo gestohlen hatte, um mit den Borsten von Davids Haufen Haare und Augenbrauen zu gestalten.
    »Das wird reichen«, sagte er und drehte den Kopf, um ihn von allen Seiten zu betrachten. »Wir können noch mit einem Kugelschreiber nachbessern, sobald sie getrocknet sind.«
    »Wie lange dauert das?«
    »Vierundzwanzig Stunden, vielleicht auch sechsunddreißig. Keine Angst. Wir haben Zeit. Wenn nur die Wächter sie nicht entdecken. Wir müssen sie unter der Pritsche verstecken und darauf hoffen, dass es keine Zellenüberprüfung gibt. Mehr geht einfach nicht.«
    »Du meinst, wir sollen einfach das Beste hoffen?«
    »Ganz genau, und hör jetzt auf, dich ständig wie der ungläubige Thomas aufzuführen. Das geht mir auf die Nerven.«
    Erstaunlicherweise klang Eddie auf einmal gereizt, und das ohne jeden Grund.
     
    Als die Zellentüren am Samstag für das abendliche Treffen geöffnet wurden, hatte Eddie die Attrappen bereits auf den Pritschen drapiert. Sie hatten ihre beiden Holzstühle auseinandergebrochen, sie in ihre Schlafanzüge gesteckt und die Bettdecken darüber gezogen, um ihre Körper zu simulieren. Die Köpfe aus Pappmaché legten sie so auf die Kissen, dass das Profil zu sehen war. Das sah besser aus, als David erwartet hatte. Eddie, der professionellere Ansprüche stellte, war weniger zufrieden.
    »Die funktionieren schon, wenn die Wärter nur kurz durchs Judas-Loch reinschauen, aber wenn sie wirklich reinkommen, sind wir geliefert«, sagte er und warf einen letzten kritischen Blick auf die Attrappen, als sie die Zelle verließen – zum letzten Mal, wie sie hofften. Davids Herz klopfte so stark, dass er schon dachte, es würde zerspringen.
    Eddie hatte recht gehabt: Es gab weniger Aufseher als sonst – nur einen im Hof und einen, der an einem Tisch in der Ecke Zeitung las, weit weg von der Treppe, die zum Freizeitraum hinaufführte. Und es hatte beim Hereinkommen keine Zählung gegeben, was hieß, dass es beim Rausgehen wahrscheinlich auch keine geben würde. Doch trotzdem konnte David sich nicht beruhigen, und nach kurzer Zeit hielt er die Warterei kaum mehr aus. Eddie hatte darauf bestanden, dass sie fast bis zur letzten Minute unten blieben, damit niemand sie vor der Zeit vermissen würde.

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