Der König der Diamanten
habe.«
Sie nickte – eine kleine, aber deutliche Abwärtsbewegung des Kopfes –, und Claes wandte sich zufrieden in Richtung Treppe, als Clayton auch schon die Eingangshalle betrat.
»Miss Claes«, sagte der Constable, indem er die Türe zum Salon aufhielt. »Sie können jetzt kommen.«
Jana griff über ihre Schulter hinter sich, nahm den Krückstock, der an der Lehne hing, und erhob sich langsam.
»Soll ich Ihnen helfen?«, fragte Clayton und streckte instinktiv die Hände aus, um Jana zu stützen.
»Nein!« Fast schrie Jana das Wort heraus, während sie sich bemühte, einer Berührung des Beamten zu entgehen.
Trave stand mit dem Rücken zur Tür am Kamin. Er hatte an seineFrau und Osman gedacht; hatte sich vorgestellt, wie die beiden hier in diesem Zimmer standen; hatte Osmans lange, feingliedrige Finger auf Vanessas Arm ruhen sehen, während sie seine Schätze bewunderte. Trave schüttelte sich. Er wusste Bescheid über diesen Mann. Osman war ein Sammler, und jetzt sollte Vanessa Teil seiner Sammlung werden. Gedankenverloren hatte Trave eine hübsche Figur aus Meißner Porzellan vom Kaminsims genommen, ein Cowgirl mit Krug, die er in der Hand hielt und dachte, wie gern er sie fallen lassen würde. Doch in dem Moment trat Jana ein. Sie sah Traves Vorderseite im Spiegel über dem Kamin, spürte offenbar, was ihm durch den Kopf ging, und rief noch in der Türe:
»Stellen Sie das hin!«
Trave wunderte sich später selbst darüber, wie gehorsam er dem Befehl dieser Frau gefolgt war. Vielleicht fühlte er sich an seine Kindheit erinnert – seine Mutter hatte ihm immer verboten, ihre Porzellanfiguren anzufassen, ihre »Preziosen«, wie sie sie nannte.
Er drehte sich nicht sofort um, sondern nahm sich einen Moment Zeit zum Sammeln, während er im Spiegel verfolgte, wie die Schwester von Claes langsam durchs Zimmer kam und sich dabei auf ihren Stock stützte. Nach ein paar Schritten zögerte sie ein wenig, als sei ihr der Ausbruch peinlich, dann ging sie weiter zum Sofa, wo sie sich umständlich hinsetzte und den Stock fest in der Hand behielt, als wolle sie jederzeit weggehen können. Sie wirkte in diesem Zimmer vollkommen fehl am Platz, und Trave glaubte auch zu wissen warum. Dies hier war Osmans Revier, und Jana kam sonst wahrscheinlich nur herein, um aufzuräumen und staubzuwischen, und nicht etwa, um auf dem Sofa zu sitzen und Konversation zu betreiben.
»Verzeihung«, sagte sie langsam und mit starkem Akzent. »Das Porzellan ist teuer und ich bin die, die es pflegt.«
»Ich verstehe«, sagte Trave und setzte sich wie zuvor neben Clayton auf das Sofa gegenüber. »Die ganze Sache ist wahrscheinlich ziemlich belastend für Sie.«
»Ja.«
Trave musterte Jana Claes interessiert. Vor zwei Jahren hatte er schon einmal mit ihr gesprochen, als sie nach dem Mord an Mendel ihre Aussage gemacht hatte, doch sie hatte wenig zu sagen gehabt. Ihren Angaben zufolge war sie mit Katya am Nachmittag einkaufen gegangen, deshalb waren sie beide auch nicht anwesend gewesen, als Mendel unten beim Bootshaus ums Leben gekommen war. Sie wusste so gut wie nichts über den Toten und hatte auch seinen Mörder, David Swain, nie kennengelernt. Jetzt lagen die Dinge allerdings anders. Jana Claes hatte ein paar Jahre mit Katya Osman zusammengelebt. Sie wusste über die Abläufe im Haus Bescheid, und es war jetzt Traves Aufgabe, so gut es ging, diese Informationen aus ihr herauszukitzeln. Einfach würde das sicherlich nicht sein. So viel war klar. Die Augen starr auf den Teppich gerichtet, war Jana der Inbegriff eines widerspenstigen Zeugen.
»Also gut«, sagte er, wobei sein Ton jetzt viel freundlicher war als der, den er anfangs gegenüber Janas Bruder angeschlagen hatte. »Detective Clayton und ich versuchen, uns ein Bild davon zu machen, was hier heute Nacht passiert ist. Deshalb möchten wir Sie bitten, uns zu erzählen, an was Sie sich erinnern.«
»Ich bin zu Bett gegangen. Dann bin ich aufgewacht, weil ein Schuss gefallen ist. Dann hörte ich weitere. Zwei weitere. Und rennende Menschen. Und dann war es wieder still. Titus, also Mr. Osman, kam in mein Zimmer und führte mich zu Katya. Mein Bruder Franz war dann auf einmal auch da. Ich habe sie nicht angerührt. Sie sagten, ich solle warten. Danach habe ich mich angezogen, und Sie trafen ein.«
Trave beobachtete Jana aufmerksam. Was sie sagte, klang irgendwie einstudiert, und er war überrascht, wie wenig sie in der Lage schien, bezüglich des Mordes irgendwelche Gefühle
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