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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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würde.
    Er erwachte, weil ihn das Sonnenlicht blendete. Mehr als eine Stunde war vergangen, und er hatte keine Ahnung, ob sein Stiefvater noch im Haus war oder nicht. Seine Dummheit verfluchendwarf David die Zeitung von sich, schlug den Kragen der gestohlenen Jacke hoch und ging langsam die Straße entlang auf das Haus seiner Mutter zu. Am Ende der Buchsbaumhecke des Nachbargartens hielt er an, kniete nieder, als wolle er sich die Schuhe binden, und linste um die Ecke. Vor ihm lag der Vorgarten – ein briefmarkengroßer Fleck sorgfältig gemähten Rasens, den zwei Reihen roter Chrysanthemen einrahmten, gesetzt im exakt gleichen Abstand. Daneben eine schmale Einfahrt, in der der ganze Stolz seines Besitzers im Morgenlicht glänzte: ein fliederfarbener Ford Anglia. Als er sich ein wenig vorbeugte, konnte David einen Blick auf das Erkerfenster des unscheinbaren kleinen Hauses werfen, das einstmals sein Zuhause gewesen war. Wie eingerahmt war darin sein Stiefvater zu sehen, der in diesem Augenblick das Frühstück beendete. David konnte beobachten, wie Ben Bishop die Serviette abnahm, die er sich oben ins Hemd gesteckt hatte, und sich die Mundwinkel abtupfte. Dann stand er auf, streifte die Hosenträger über seine breiten Schultern und schlüpfte in die Jacke seiner Busfahrer-Uniform, die er über die Stuhllehne gehängt hatte. Schließlich verschwand er aus dem Blickfeld.
Der Mistkerl macht sich auf den Weg zur Arbeit
, dachte David, während er ein Stück die Straße hinunterging. Und tatsächlich sah er ihn fünf Minuten später, die Hände fest am Lenkrad, vorsichtig auf die Straße heraussteuern und Richtung Bus-Depot davonfahren.
    Als David wieder vor dem Haus stand, packte ihn die Nervosität. Seine Hand zitterte, als er auf die Klingel drückte. Und auf einmal, noch bevor er Zeit gefunden hatte, sich irgendwie vorzubereiten, stand seine Mutter vor ihm, in ihrem blassblauen Haushaltskittel, eine Packung »John Player Navy Cut« in der Brusttasche, und in der Hand eine brennende Zigarette, die sie vor Schreck auf den Fußabstreifer fallen ließ. David bückte sich, um die Zigarette aufzuheben, und beim Aufrichten stellte er fest, dass ihr Gesichtsausdruck sich verändert hatte: Das war nicht mehr Überraschung, sondern Furcht, wenn nicht sogar Panik.
    »Keine Angst«, sagte er und bemühte sich, seine Unsicherheit zu verbergen. »Ich weiß, dass du nicht sonderlich erfreut bist, mich zu sehen, aber ich brauche nur ein paar Stunden. Ich bin längst weg, wenn er wiederkommt.« Er hielt ihr die Zigarette entgegen, als sei sie ein Friedensunterpfand, doch sie schüttelte den Kopf. So warf er sie hinter sich auf den Weg, wo sie ihren blaugrauen Rauch in die kalte Morgenluft aufsteigen ließ. Sie sagte immer noch nichts, stand nur da und starrte ihren Sohn an, als sei er ein Gespenst.
    »Willst du mich denn nicht hereinbitten?«, fragte er und versuchte, fröhlich zu klingen. »Du weißt schon: Ich habe hier mal gewohnt – vor langer, langer Zeit.«
    »Du bist ausgebrochen«, sagte sie düster mit tonloser Stimme. Es war eine Feststellung, keine Frage.
    »Ja«, sagte er. »Ich bin ausgebrochen, und ich bin verletzt. Hier, an der Schulter. Und ich brauche deine Hilfe, Mutter. Bitte.«
    Plötzlich kippte er nach vorne, während seine Beine unter ihm nachgaben. Instinktiv griff sie unter seinen Arm und half ihm über die Schwelle, bevor er ohnmächtig zu Boden ging.
    Auf dem Teppich im Flur kam er zu sich. Er hatte ein Kissen unter dem Kopf, und ein Junge, den er zunächst gar nicht erkannte, kauerte neben ihm und hielt ihm ein Glas Wasser hin. Der Junge trug die klobigste Brille, die David je gesehen hatte. Erst dachte er, das Ding sei eine Einbildung, denn auch der Rest der Umgebung verschwamm vor seinen Augen. Doch hinter den Brillengläsern waren Augen zu sehen, die genau die gleiche Farbe wie seine eigenen hatten. Jetzt erkannte David den Jungen: Es war sein Halbbruder Max, der Sohn von Ben Bishop. Er war doppelt so groß wie bei ihrem letzten Treffen vor fast drei Jahren, und seine Haut war bleich, als würde er den ganzen Tag im Haus sitzen.
    »Du bist hingefallen«, sagte der Junge. Er sprach langsam und sehr nachdrücklich, als würde er eine lebenswichtige Information preisgeben.
    »Ja, ich bin ohnmächtig geworden.«
    »Ohnmächtig? Was bedeutet ›ohnmächtig‹?«
    »Das gleiche wie ›bewusstlos‹. Wenn man zum Beispiel mit dem Kopf wo aufschlägt«, sagte David matt.
    Max schien zu verstehen, und David

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