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Der König der Diamanten

Der König der Diamanten

Titel: Der König der Diamanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Tolkien
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angesichts dessen, was er nicht einmal eine Stunde nach seinem Ausbruch getan hatte. Eddie hingegen hatte sich vollkommen ruhig und unauffällig verhalten, seit er in London war. Es war ja nicht seine Schuld, dass Davy sich so dumm anstellte, dachte er zufrieden, während er noch eine Runde Drinks bestellte – für sich selbst und für das Mädchen.
    »Von mir aus gern«, sagte sie mit pseudo-vornehmer Stimme, durch die Eddie sich nicht einen Moment täuschen ließ. Er hatte genügend Kellerspelunken gesehen, um zu wissen, woher all diese leichten Mädchen stammten. Aber er ließ sich die Laune nicht verderben – schließlich stammte auch er daher. Er war bei seiner durchgeknallten Großmutter aufgewachsen, in einem übelriechenden Apartment über einem Lebensmittelgeschäft, auf der falschen Seite von Oxford. Und ihm gefiel, wie das Mädchen aussah – blonde Haare, blaue Augen mit langen Wimpern, volle, rote Lippen und ein Kleid, das sich an ihren Körper schmiegte wie eine zweite Haut.
    »Wie alt bist du?«, fragte er, als er sie an ihrem Glas nippen sah – sie hatte Babycham bestellt, ein Mädchengetränk.
    »Geht dich nichts an«, erwiderte sie mit einem ›Frag nicht, dann erzähl ich auch keine Lügen‹-Tonfall, woraufhin Eddie seinen Griff um ihren Schenkel fester schloss.
    »Komm schon«, sagte er. »Verrat’s mir.«
    »Einundzwanzig«, sagte sie, und es klang, als sei sie so gut wie zu allem bereit. »Fragst du mich nicht, wie ich heiße?«
    »Na gut. Wie heißt du?«
    »Audrey«, sagte sie mit einem gekünstelten Lächeln. »Wie die Schauspielerin.«
    »Wie die Schauspielerin«, wiederholte Eddie. Fast musste er lachen: diese Tussi stellte sich vor, sie sei Audrey Hepburn. Eddie kannte all ihre Filme, hatte einige sogar zwei- oder dreimal gesehen, auch ein paar Dialogzeilen konnte er auswendig. Audrey Hepburn war eine Göttin der Leinwand – hoch oben am Gipfel des Olymps thronte sie neben Elizabeth Taylor und Marilyn Monroe, um bewundert, angestarrt, aus der Ferne verehrt, aber niemals leibhaftig gesehen oder angefasst zu werden. Aber dieses Mädchen, diese Audrey – die
konnte
angefasst werden. Und auf einmal überkam es Eddie, und er wollte sie besitzen, so schnell wie möglich.
    »Mir ist heiß«, sagte er. »Wollen wir ein bisschen frische Luft schnappen?« Und im Aufstehen spürte er ihren Blick auf seinen Händen, die die Taschen seines Jacketts mit den Monte-Carlo-Chips füllten und diese dann am Schalter beim Ausgang gegen nagelneue Banknoten eintauschten.
    Beim Treppensteigen hielt sie sich an seinem Arm fest – mit ihren hohen Absätzen konnte sie nicht richtig gehen –, und als sie dann in die Nacht hinaustraten, griff sie nach seiner Hand. Seinen Namen hatte er ihr immer noch nicht genannt.
    Sie gingen die Wardour Street entlang, vorbei an einer Warteschlange vor einem schummrig beleuchteten Kino, in dem eine Spätvorstellung von Alfred Hitchcocks
Psycho
lief – der »furchterregendste Film aller Zeiten«, wie ein Plakat neben dem Eingang verkündete. Sie passierten Geschäfte mit abgedunkelten Schaufenstern, überfüllte China-Restaurants und Mädchen, die in Hauseingängen standen und die Passanten ansprachen. Nach der Hitze im Casino fühlte Eddie sich an der kalten Luft etwas schwindlig. In einem Spirituosengeschäft kaufte er eine Flasche Bell’s Whisky.
    »Wo gehen wir hin?«, fragte das Mädchen.
    »Heim«, sagte Eddie und hielt ihre Hand fest, während er sie über die Straße und in eine dunkle Seitengasse führte, hin zu dem unscheinbaren Mietshaus, in dem er die vergangene Woche zugebracht hatte.
    Auf dem Bürgersteig vor dem Haus blieb sie stehen und weigerte sich weiterzugehen.
    »Erst brauche ich das Geld«, sagte sie und sah ihm dabei das erste Mal in die Augen. Jetzt bemerkte er, wie anders sie im Licht der Straßenlaternen auf einmal aussah: nicht mehr charmant lächelnd, mit neckischem Augenaufschlag und voller Hoffnung, als Audrey Hepburn durchzugehen. Stattdessen durchtrieben, berechnend – und deutlich älter als einundzwanzig.
    »Welches Geld?«, fragte er. »Ich dachte, wir sind Freunde?«
    »Das sind wir auch«, sagte sie ruhig, ohne sich weiterhin zu bemühen, ihren East-End-Dialekt zu verbergen. »Aber ich brauche das Geld vorher. Das ist alles.«
    »Wie viel?«, fragte er und fühlte sich plötzlich so matt, als sei alle Luft aus ihm entwichen. Wie dumm er nur war. Er hatte doch gewusst, wer sie war und was sie tun würden. Aber er hätte doch so gern

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