Der König Der Komödianten: Historischer Roman
Wäsche flatterte auf Leinen, die von Haus zu Haus und bisweilen auch über einen Kanal gespannt waren, und alle Fenster standen wegen der Frühlingswärme offen.
Die Vielfalt all dieser Eindrücke verband sich mit den Gerüchen und Geräuschen um mich herum. Der faulige Gestank aus den Kanälen, der Duft nach frisch gebratenem Fleisch, ein verirrtes, gackerndes Huhn, ein lachendes Kind. Menschen aller Schichten strömten durch die Gassen und über die Brücken, fuhren in Gondeln vorüber oder bevölkerten die Plätzevor den Kirchen. Ich sah edel gekleidete Herren und verschleierte Damen, Tagelöhner und verkrüppelte Bettler, Mönche in den Kutten ihrer jeweiligen Orden, Hausfrauen mit Körben am Arm, farbenfroh gewandete Jünglinge. Manche Leute waren in Eile, andere streiften müßig umher, doch allenthalben wimmelte es vor städtischem Leben, sodass ich mir leicht vorstellen konnte, dass es in Venedig tatsächlich zweihunderttausend Menschen gab, eine Zahl, die mir zuvor unglaublich erschienen war.
»Darf ich dich einmal etwas fragen?« Rodolfo kam dicht an meine Seite. Er sprach mit gesenkter Stimme, ersichtlich darauf bedacht, dass Elena nichts hörte. Sie war einige Schritte vorausgegangen und hatte eine Brücke betreten, von der aus sie in beiden Richtungen über den Kanal schaute und die vielen Gondeln betrachtete, die dort unterwegs waren. Ein Ausdruck reinen Vergnügens stand in ihrem Gesicht, und ich war überrascht, als ich merkte, wie sehr es meine eigene Laune hob, dass sie sich freute.
»Äh … sicher, frag nur«, sagte ich zerstreut zu Rodolfo. Wieso hatte ich eigentlich nicht schon vorher bemerkt, wie reizvoll Elena war? Es konnte nicht nur an dem Kleid liegen, oder? Keinesfalls war es allein der Busen, der eine Frau anziehend machte! Obwohl … Möglicherweise sollte ich darüber zuerst eine Weile nachdenken, bevor ich es in Bausch und Bogen abtat. Weibliche Brüste hatten in meinem bisherigen Leben keine geringe Wirkung auf mich ausgeübt, das stand fest. Angefangen bei Paulina über Franceschina und Caterina bis hin zu Matilda und Adelina sowie jetzt auch noch Elena, hatte mich dieser Teil der weiblichen Anatomie nie unbeeindruckt gelassen.
»Die Sache ist die«, sagte Rodolfo leise und ungefähr in Höhe meines Ellbogens.
Auch ihre Gesichtszüge waren liebreizend, wie ich mir als Nächstes klarmachte. Man merkte es, sobald man genauerhinsah und sich nicht von dem roten Haar und dem Busen ablenken ließ.
»Es geht um Franceschina«, sagte Rodolfo. »Ich finde sie …« Er hielt inne und räusperte sich schließlich, ohne den Satz zu beenden. »Du hast dich doch sicher schon öfter mit ihr unterhalten, oder?«
Widerstrebend löste ich meinen Blick von Elena und wandte mich Rodolfo zu.
»Ein paar Mal«, sagte ich.
Er blieb stehen und zwang mich dadurch, ebenfalls innezuhalten. »Was läuft da zwischen ihr und diesem Saufbold?«
Ich suchte nach Worten, mit denen ich ihm möglichst höflich begreiflich machen konnte, dass ich mir keine Beurteilung dieses besonderen Falles anmaßen und überdies nichts ausplaudern wolle, von dem ich meinte, dass es andere nichts anging.
»Hat sie was mit ihm oder nicht?«
Unbehaglich zuckte ich die Schultern. »Von diesen Dingen weiß ich nichts«, behauptete ich. Erleichtert sah ich, dass Elena von der Brücke zurückkam.
»Was ist los?«, wollte sie wissen. »Ist das hier nicht der richtige Weg?«
Rodolfo brummte etwas und setzte sich wieder in Bewegung. Kurze Zeit später erreichten wir die Piazza San Marco.
Der Platz war so belebt wie am Vortag, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Auf der weiten Fläche waren zahlreiche Menschen unterwegs, hauptsächlich Händler und Marktleute, die ihren Geschäften nachgingen. Vor den Toren des großen Dogenpalastes standen Wachen mit Lanzen. Die goldene Quadriga an der Fassade des kolossalen Gebäudes funkelte im Sonnenlicht, und wenn man kurz die Augen zusammenkniff, schien es einem beinahe, als hätten die Pferde gerade mitten im Lauf innegehalten und würden gleichweiterpreschen, auf dem Weg zu einem in der Ferne liegenden Ziel. Lebendig erschienen auch die beiden Mohren auf dem Uhrturm, die Klöppel in ihren Händen bereit, die zwischen ihnen hängende große Bronzeglocke zu schlagen.
Rodolfo palaverte kurz mit einem der Wachmänner vor dem von Marmorverzierungen überquellenden Tor, das der Basilika am nächsten lag, worauf der Behelmte uns den Weg durch den hohen Gang wies, der in den Innenhof des
Weitere Kostenlose Bücher