Der König Der Komödianten: Historischer Roman
rasch ein zweites und drittes Mal gelesen, sodass ich hierin kaum Ablenkung fand. Auch das viele Beten vermochte aus meinem Kopf nicht die gähnende Leere zu vertreiben, die mit der Bewegungsarmut einherging, zu der mein Körper verdammt war.
Davon abgesehen wusste ich nach einer Weile nicht so recht, ob es wirklich eine kluge Entscheidung gewesen war, zu Iseppo in die Zelle zu ziehen. Der skeptische Gesichtsausdruck von Bruder Hieronimo, als Iseppo und ich um Erlaubnis für unser Anliegen nachsuchten, hätte mir zu denken geben sollen. Auf jeden Fall aber das verzückte Lächeln, mit dem Iseppo mir gleich beim ersten Betreten seiner Kammer eines seiner bestickten Seidenkissen reichte und mich aufforderte, doch einmal zu fühlen, wie weich es sei; seine geliebte Mutter habe es eigenhändig für ihn genäht und ihm zur Profess geschenkt.
Überhaupt hatte er es mit dem Fühlen, besonders dem inneren. Er fühlte sich abwechselnd froh oder traurig oder hungrig oder müde, und nie versäumte er, mich darüber eingehend ins Bild zu setzen, wobei er den jeweiligen Gefühlszustand, in dem er sich gerade befand, mit den weitschweifigsten Beschreibungen auszuschmücken pflegte. Dabei sah er mich stets auf erwartungsvolle Weise an, als sei ihm wichtig, wie ich seinmomentanes Gefühl bewertete und gewichtete. Auch das Betasten war ihm ein Anliegen. Einmal betastete er meinen Arm und fand, dass er sich sehr hart anfühle. Er strich sich häufig über das Gesicht, um festzustellen, ob es glatt und zart war, und nie vergaß er, mich zu informieren, wie es sich anfühlte. Hin und wieder vergewisserte er sich auch, ob meine Kutte, in die man mich zu meinem Verdruss gleich am ersten Tag gesteckt hatte, genauso weich war wie seine, die er täglich lüftete und gelegentlich sogar auswusch und während des Trocknens mit Lavendelzweigen spickte. Das Geheimnis weicher und duftender Kutten, so seine Verlautbarung dazu, liege in der Verbindung von Luft und Lavendel.
Das Essen aus der Klosterküche war ebenso nahrhaft wie schlicht; es bestand zumeist aus klumpigen Pastagerichten oder derben Gemüseeintöpfen, alles fleischlos, weil noch Fastenzeit war. Als kulinarische Krönung gab es hin und wieder verkochten Fisch, steinharte Eier oder angebrannten Grießbrei. Zu Ostern gab es Lamm in Thymiansoße. Es schmeckte wie das Zeug, das ich als Kind hatte zu mir nehmen müssen, wenn ich erkältet war.
Mit Wehmut dachte ich bei solchen Mahlzeiten an Paulinas Kochkünste zurück. Ob unsere Magd bei Pater Anselmo ein neues Zuhause gefunden hatte und ihn bereits mit ihren Fähigkeiten erfreute? Manchmal sah ich die beiden immer noch wie Philemon und Baucis nebeneinander im Hof des Gutshauses stehen, während ich mit der Kutsche in die Fremde fuhr.
Auf diese Weise war ich also eingebunden in das Klosterleben, in eine immer wiederkehrende Abfolge von täglichem Gebet und leiernd-liturgischem Gesang in der Kapelle, gemeinsamen Mahlzeiten im Refektorium, der Schreibarbeit im Scriptorium, dem Gemüseputzen in der Küche und frühem Zubettgehen. Letzteres ergab sich zwingend daraus, dass auch das Aufstehen grausam früh erfolgte, denn zur Prim mussten alle Mönche mit frisch gewaschenen Gesichtern in der Kapellezum Morgengebet antreten. Nach dem Vespergebet war man dann entsprechend müde und sehnte sich nach Schlaf.
So verstrichen die ersten Wochen meines neuen Lebens in trüber Ereignislosigkeit. Die einzig wirklich erfreuliche Abwechslung bestand darin, dass ich mir vor dem Einschlafen oft ausmalte, Caterina zu küssen und zu liebkosen. Im Laufe der Zeit nahm ich mir immer größere Freiheiten heraus. Einmal war ich fast so weit, ihre Brüste zu entblößen, ich hatte sie förmlich schon unter meinen geistigen Händen, doch in diesem Moment fragte Iseppo mit freudiger Anteilnahme vom Nachbarbett aus, ob das Kissen sich für mich tatsächlich so weich anfühle, wie es den Anschein erwecke.
Erst in der vierten Woche meines Klosteraufenthalts geschahen einige bemerkenswerte Dinge, und zwar alle an einem Tag.
Ich nahm die Beinschiene ab.
Ich entdeckte meinen leidenschaftlichen Hang zum Schreiben.
Ich belauschte ein aufwühlendes Gespräch.
Ich schnürte mein Bündel und machte mich aus dem Staub.
Doch der Reihe nach.
Am ersten Mittwoch nach Ostern war endlich die Zeit gekommen, die Beinschiene loszuwerden. Gleich nach der Frühmesse nahm ich sie ab und ging versuchshalber in der Zelle hin und her. Das rechte Bein kam mir etwas schwächer vor als
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