Der König Der Komödianten: Historischer Roman
pickligen Knaben in der drittletzten Reihe erspähte, der mit vollen Backen kaute und mein potenzielles Abendessen hinunterschlang.
Entschlossen, mir den Dieb zu greifen, näherte ich mich ihm – und nahm nach wenigen Schritten Abstand von meinem Vorhaben. Es war nicht zu übersehen, wie erbärmlich mager der Junge war. Die Knochen seiner Handgelenke waren steckendürr, der Körper so ausgemergelt, als könnte der nächste Windstoß ihn fortwehen. Keine Frage, dieser Bursche hattevor lauter Hunger gestohlen. Er drehte sich um, sah mich – und zuckte furchtsam zusammen. Als ich nur kurz den Kopf schüttelte, schob er sich hastig den letzten Brocken des Brotes in den Mund, duckte sich und tauchte in der Menge unter. Gleich darauf sah ich ihn quer über die Piazza davonlaufen.
Nachdem mit seinem Verschwinden das Problem der zahlungsfaulen Gaffer fürs Erste gemeistert war, gönnte ich mir einen Blick auf die Bühne. Da ich größer war als die Umstehenden, hatte ich gute Sicht auf das Geschehen. Pedrolino, Pantalone und der Capitano standen beisammen und debattierten darüber, wer gegen den Geist kämpfen sollte, während in der anderen Ecke der Bühne Rosalinda und Colombina eng aneinandergeschmiegt auf dem Boden kauerten und der Dottore so tat, als wolle er sich schützend vor sie stellen, aber dann unter dem Gelächter einiger Zuschauer diverse Verrenkungen machte, als könne er sich nicht entscheiden, ob er vorwärts- oder rückwärtsgehen sollte, bis er schließlich einen großen Satz nach hinten tat und sich rasch hinter den Mädchen versteckte.
Vergnügt betrachtete ich das nun folgende Spiel von Pantalone, Pedrolino und dem Capitano. Vor allem das kriegerische Auftreten des Capitano, verkörpert von Bernardo, tat es mir an. Der Harnisch, der vorhin noch unter dem schwarzen Umhang verborgen gewesen war, blitzte metallisch, und darunter rasselte das Schwertgehenk bei jeder Bewegung.
Mit dröhnender Bassstimme pries der Capitano sich selbst als kühnen Recken, der sich in vielen Schlachten siegreich geschlagen habe, sowohl auf dem Feld der Ehre als auch auf jenem der Liebe. Heute jedoch wolle er ausnahmsweise einmal so uneigennützig sein, dem tapferen Herrn Pantalone den Vortritt zu lassen, damit dieser die armen jungen Frauen retten könne, auf dass ihm Ruhm und Ehre zuteil werde, wovon er, der Capitano, ja bereits im Übermaß besitze.
Pantalone alias Baldassarre entgegnete darauf nicht minder bescheiden und wie üblich reimend:
»Das Ungeheuer könnte leicht ich töten!
Allein, ich bin nicht diese Art von Held,
der Lorbeer an sich rafft in allen Nöten –
und damit and’rer Ruhmeswunsch vergällt!«
»Der alte Knacker ist richtig gut«, sagte jemand neben mir bewundernd. »Er ist der Einzige von diesen Gecken, der jedes Mal was anderes erzählt.«
»Und immer reimt es sich«, pflichtete sein Nebenmann ihm bei. »Reimen ist für mich die hohe Kunst des Theaters, aber das kann man von den Banausen wohl nicht erwarten.«
Gleich darauf gab es reichlich Grund zum Lachen, jedenfalls für mich, der ich das Folgende zum ersten Mal sah. Pantalone schob seinen Diener Pedrolino nach vorn, ihn in Reimform ermahnend, seine Jugend zu nutzen, um Siegeslorbeer zu erringen. Unterdessen wollte der Capitano sich unauffällig zurückziehen, sah sich aber durch Pedrolino daran gehindert, der sich flugs hinter dem starken Offizier verbarg.
Pantalone wiederum setzte Pedrolino nach, um ihn zum Bekämpfen des Geistes zu bewegen, während dieser sich seinem Herrn entzog, indem er in einem fort um den Capitano herumrannte, der davon ganz taumelig wurde und sich deswegen um die eigene Achse drehte.
Schließlich schubste jeder der drei den jeweils Nächststehenden in Richtung des Hemdes, doch flugs wechselte der solcherart nach vorn Gedrängte immer wieder an die hinterste Position. Was für ein herrlich komisches Possenspiel! Das also waren Lazzi!
Mein schallendes Gelächter versiegte, als eine Frau vor mir sich verdrossen zu mir umwandte: »Ja, beim ersten Mal ist es noch lustig.«
Doch auch sie musste kichern, als gleich darauf der unfreiwillige Kampf des Capitano mit dem Hemd begann, welches er mit wilden Gesten und unter Einsatz von Messer, Schwert undMuskete attackierte und sich dabei mehrmals rettungslos in dem Stoff verhedderte.
Der Musketenschuss, mit dem er schließlich dem Geist den Garaus machte, wurde durch einen harten Trommelschlag dargestellt. Ich suchte mit Blicken die Bühne ab, und richtig, eine der
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