Der König Der Komödianten: Historischer Roman
ist, um als Sicherheit für einen Haufen Geld zu dienen.«
»Ein Zeh des heiligen Antonius. Das ist der Stadtheilige von Padua. Für Reliquien seines Körpers werden Unsummen gezahlt, besonders in seiner Heimatstadt. Baldassarre hatte ein päpstliches Zertifikat für den Zeh, und ein zufällig vorbeikommender Weihbischof konnte sich für die Echtheit der Urkunde verbürgen.«
Ich erinnerte mich, dass der Fettsack von einem Pfand gesprochen hatte, das er in der Basilika hinterlegt hatte, wo allerdings niemand Bescheid gewusst hatte.
»Der Weihbischof – war der echt?«, fragte ich.
»Nein, natürlich nicht. Er war ein Kerl aus einem der Badehäuser, der zufällig in das Kostüm passte und eine salbungsvolle Stimme hatte.«
All das musste ich erst verdauen. Und fing dabei an, nachzudenken.
Nimm nur mich, hatte Baldassarre gesagt, und: Das Leben schreibt die lustigsten Geschichten. Wenn das nicht Stoff für eine war! Sofort gingen meine Gedanken auf Wanderschaft, ich ersann Händler und Käufer, Pfandleiher und Schuldner, vermengte alles mit der Not eines edlen Mannes und der Skrupellosigkeit eines Paragraphen reitenden Wucherers, garnierte es mit einer hoffnungsvollen Liebesgeschichte, und siehe da, die ersten Fragmente einer Handlungsidee waren geboren.
Selbstverständlich würde das Stück wieder in Venedig spielen, bald konnte ich sogar vor Ort die besondere Atmosphäre recherchieren. Mein Blick fiel auf den zahnlosen Alten mit dem gelben Hut. Der Wucherer müsste ein Jude sein, denn fast alle Geldverleiher waren Juden, und sein Widerpart wäre ein junger Patrizier, der dringend Bares benötigte, um seinem in Not geratenen Freund aus einer schrecklichen Klemme zu helfen. Welche Klemme kam infrage?
Ich sah, wie sich Baldassarre zu der schönen Frau an seiner Seite neigte und ihr mit galantem Lächeln etwas zuflüsterte, worauf sich die Schöne brüsk abwandte. Genau, der Freund war unglücklich verliebt und würde ohne das Geld des Juden jede Aussicht auf sein Glück verlieren. Schlimmer noch, er würde vor lauter Kummer sterben müssen!
Der Jude würde den Kredit bewilligen und von dem jungen Patrizier ein Pfand verlangen, wie es üblich war. Doch musste es ein besonderes, ein Unheil stiftendes Pfand sein, damit der Konflikt vorgezeichnet war. Was könnte das Pfand sein? Ein Pferdegespann? Nein, viel zu profan. Es musste wichtig sein, und, falls es verfiele, ein übermenschliches Opfer, ein höchst schmerzlicher Verlust.
Ein Zeh! Aber kein toter, sondern einer, der noch am Körper war! Mit List würde der Jude den jungen Patrizier dazu bewegen, seinen großen Zeh zu verpfänden, allein mit dem Ziel, ihn (den jungen Patrizier) zu vernichten, denn insgeheim trieben ihn (den Wucherer) noch ganz andere Motive um als der erstrebte Zinsgewinn. Dereinst hat nämlich der junge Patrizier die schöne Tochter des Juden verschmäht, was nach blutiger Rache schreit …
Hm, wäre das dann noch eine Komödie? Oder doch schon wieder zu tragisch? Wo war der Witz? Nun denn, der Jude könnte einige Lazzi vollführen. Oder den jungen Patrizier bei der beabsichtigten Zehenamputation so sehr an den Füßen kitzeln, dass er sich versehentlich selbst einen Finger abschnitt.Oder ich könnte einen Notar mitspielen lassen, den ein Gebrechen plagte – er könnte zum Beispiel schwerhörig sein, sodass er alles, was man ihm sagte, falsch verstand. Daraus ergaben sich Lazzi in allen Variationen! Und zugleich hätte es den Vorteil, dass ich alle wichtigen Komödienrollen besetzt hatte, zumindest bei den Hauptfiguren.
Längst hatte ich Papier aus meinem Reisesack geholt und auf meinen Knien ausgebreitet, die Feder und das Säckchen mit dem Löschsand gezückt und das Tintenfass zum Nachschöpfen zwischen meinen Füßen deponiert, um alle Gedanken, ungeordnet und in der Reihenfolge, wie sie mir kamen, zu Papier zu bringen.
Zerstreut blickte ich mittendrin auf und sah, wie ein Reisender mittleren Alters sich zu der Schönen an Baldassarres Seite vorbeugte und ihr etwas zuflüsterte. Die Frau blickte den Reisenden empört an und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige.
»Die Männer nehmen sich auf dreiste Weise Anzüglichkeiten bei dieser Frau heraus«, sagte ich ärgerlich zu Cipriano. »Wahrscheinlich denken sie, dass sie einen losen Lebenswandel führt, weil sie Schminke trägt und allein reist. Dass sie womöglich ehrbar ist, wollen sie nicht sehen.«
Cipriano lachte. »Nein, sie wollen nicht sehen, dass diese Frau in Wahrheit ein
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