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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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unseren Vater ermordet hat.
    »Prima«, sagte ich. »Der Tag war prima. Und bei dir?«
    »Auch«, erwiderte sie. »Setz dich. Die Zeitung liegt auf dem Tisch. Das Essen ist in einer halben Stunde fertig.«
    »Ich gehe mich umziehen«, sagte ich und ging auf hölzernen Füßen hinaus. Im Vorbeigehen befühlte ich Dinge: die Wand, das Treppengeländer. Was war real? Was war wichtig? Wenn ich in die Küche zurückkäme und den Mund voller Scheiße hätte, würde sie mich dann küssen und mir sagen, ich schmeckte nach Schokolade?
    Ich spritzte mir Wasser ins Gesicht und zog eine Khakihose und den baumwollenen Rollkragenpullover an, den Barbara mir vor ein paar Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte. Ich betrachtete mein Gesicht im Spiegel und stellte erstaunt fest, wie vollständig es erschien, wie ruhig und intakt. Dann lächelte ich, und die Illusion zerbrach. Ich dachte an das, was Vanessa gesagt hatte.
    Barbara stand immer noch am Herd, als ich in die Küche zurückkam. Ihr Glas war wieder voll. Sie lächelte, als ich mir auch etwas einschenkte. Wortlos stießen wir miteinander an und tranken. »Noch zehn Minuten«, sagte sie. »Ich rufe dich, wenn es fertig ist.«
    »Soll ich den Tisch decken?«
    »Das mache ich. Geh und entspann dich.«
    Ich wandte mich dem Wohnzimmer und der tiefen, weichen Couch zu. Zehn Minuten, das klang gut.
    »Douglas war hier«, verkündete meine Frau. Ich blieb stehen und drehte mich um.
    »Was?«
    »Ja, ein Routinebesuch, sagte er. Wollte über die Nacht reden, in der Ezra verschwunden ist.«
    »Routine«, wiederholte ich.
    »Um die leeren Stellen auszufüllen, sagte er. In seinen Formularen.«
    »In seinen Formularen.«
    Sie sah mich verwundert an. »Warum wiederholst du alles, was ich sage?«
    »Tue ich das?«
    »Ja. Fast jedes Wort.«
    »Entschuldige. Das habe ich nicht gemerkt.«
    »Ehrlich, Work.« Sie lachte. »Manchmal ...« Sie wandte sich wieder dem Herd zu und griff nach einem Holzlöffel. Ich stand wie angewurzelt da, und mir war undeutlich bewusst, dass Empfindungslosigkeit allmählich zu meinem normalen Daseinszustand wurde.
    »Was hast du ihm gesagt?«, fragte ich schließlich.
    »Die Wahrheit«, sagte sie. »Was denn sonst?«
    »Natürlich die Wahrheit, Barbara, aber was genau?«
    »Fauch mich nicht an, Work«, sagte sie. »Ich versuche ...« Sie ließ den Satz unvollendet und deutete mit dem Löffel durch die unordentliche Küche. Irgendetwas Gelbes tropfte auf die Theke, und ich starrte es an, weil ich Barbara nicht in die Augen sehen konnte. Als ich schließlich doch aufblickte, sah ich, dass sie die Hand an den Mund presste und in ihren zu Boden gerichteten Augen Tränen schimmerten. Ein anderer wäre zu ihr gegangen und hätte sie in den Arm genommen, aber meine Seele war schon jetzt schwarz von Lügen.
    Ich ließ ihr einen beklommenen Augenblick Zeit, und sie nahm sich zusammen. »Ich habe ihm gesagt, nachdem ihr die«
    — sie brach ab, hätte beinahe gesagt, die »Leiche deiner Mutter« —, »deine Mutter ins Krankenhaus gebracht hattet, bist du zu deinem Vater nach Hause gefahren. Und dann bist du hergekommen. Ich habe ihm erzählt, wie aufgewühlt ihr wart, du und Jean.« Sie schaute wieder zu Boden. »Und wie ihr beide gestritten habt.«
    Ich unterbrach sie. »Davon habe ich dir erzählt?«
    »Nicht, worüber ihr gestritten habt. Nicht, was ihr gesagt habt. Nur, dass ihr wegen irgendetwas Streit hattet. Du warst sehr aufgebracht.«
    »Was sonst noch?«
    »Meine Güte, Work. Was soll denn das?«
    »Erzähl's mir einfach, bitte.«
    »Da gibt's nichts weiter zu erzählen. Er wollte wissen, wo du in jener Nacht warst, und ich habe gesagt, du warst hier. Das war alles.«
    Gott sei Dank. Aber ich musste sie auf die Probe stellen. Ich musste ganz sicher sein.
    In beiläufigem Ton fragte ich: »Könntest du beschwören, dass ich die ganze Nacht hier war? Könntest du das bezeugen?«
    »Du machst mir Angst, Work.«
    »Kein Grund zum Angsthaben«, beruhigte ich sie. »Das ist der Anwalt in mir. Ich weiß, was manche Leute vielleicht denken, und es ist besser, wenn wir in diesem Punkt Klarheit haben.«
    Sie kam näher und blieb in der Küchentür stehen. Noch immer hielt sie den Holzlöffel in der Hand. Ihr Blick war fest, und sie senkte die Stimme, als wollte sie ihren Worten besonderen Nachdruck verleihen. »Ich würde es wissen, wenn du weggegangen wärst«, stellte sie schlicht fest, und als ich ihr Gesicht sah, fragte ich mich, ob sie die Wahrheit kannte. Ob sie wusste,

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