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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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der Motor lief. Sie wusste es nicht, aber sie hatte mir etwas gegeben. Mehr, als sie gewollt hatte. Ich war ihr im Weg, hatte sie gesagt. Das bedeutete, dass Jean auf irgendeine Weise immer noch etwas an mir lag, und das war besser als nichts.
    Ich rief im Pizza Hut an, als ich wegfuhr, und hörte, dass Jean an diesem Tag nicht arbeitete. Eine Stunde lang fuhr ich in der Stadt herum und suchte nach ihrem Wagen — am Einkaufszentrum, vor Kinos und Doughnut-Shops. Sie war nirgends. Schließlich rief ich in stiller Verzweiflung noch einmal bei ihr zu Hause an. Niemand meldete sich.
    Um fünf fuhr ich nach Charlotte, um mich mit Hank Robins zu treffen. Der Verkehr auf der 1-85 war ungewöhnlich dünn, und so kam ich gut voran. Als es sechs Uhr wurde, saß ich bequem in den tiefen Lederpolstern einer Sitznische am hinteren Ende der Bar. Das Lokal war matt erleuchtet, und die leise Musik klang irgendwie keltisch. Neben dem gläsernen Aschenbecher fand ich eine halb leere Schachtel Gitanes und nahm eine heraus. Ich riss ein Streichholz aus dem Heftchen, zündete es an und warf die Schachtel wieder auf den lackierten Holztisch, als die Kellnerin sich zu mir heranschlängelte. Sie erinnerte mich an Jean; wahrscheinlich lag es an ihrem Gang. Das Lächeln, das sie mir schenkte, wirkte müde. Ich wollte einen Manhattan, irgendetwas Starkes, aber stattdessen bestellte ich ein Bier, ein Becks.
    Ich hatte den Laden praktisch für mich allein. Ich trank mein Bier und blies Rauchkringel durch den matten Lichtstrahl, der meinen Tisch von oben aufspießte.
    »Nett«, sagte eine Stimme, und Hank Robins rutschte auf die Bank gegenüber. Er deutete auf die zerfaserten Reste des Rauchkringels. »Gute Form.«
    »Sie kommen spät«, sagte ich.
    »Verklagen Sie mich doch.«
    Er nahm meine Hand, bewegte sie zweimal wie einen Pumpenschwengel auf und ab und lächelte durch den Rauch. »Wie geht's Ihnen, Work?«, fragte er und fuhr ohne Pause fort: »Tut mir wirklich leid, das alles. Ich weiß, das muss beschissen sein.«
    »Sie wissen nicht mal die Hälfte von allem.«
    »So schlimm?«
    Ich zuckte die Achseln.
    »Was muss man hier machen, um was zu trinken zu kriegen?«, fragte er und hob dann die Stimme. »Bedienung. Noch zwei.«
    Hank war ein Anachronismus. Er war eins siebzig groß und ungefähr fünfundsechzig Kilo schwer, aber er war der furchtloseste Mann, den ich je gesehen hatte. Ich hatte es selbst nie erlebt, doch es hieß, er habe sich schon mit doppelt so großen Typen angelegt und gewonnen. Er hatte dichtes schwarzes Haar, fröhliche grüne Augen und einen abgebrochenen Schneidezahn. Die Frauen liebten ihn.
    Wir hatten in einem Dutzend Fällen zusammengearbeitet, und ich wusste, dass er gut war. Wir vertrugen uns, weil keiner von uns sich mit Illusionen plagte; wir waren beide Realisten, doch er scherte sich nicht den Teufel darum. Für ihn würde die Welt niemals einen Sinn ergeben, also machte er einfach mit. Nichts überraschte ihn, aber er fand Komik in allem, was er sah.
    Dafür bewunderte ich ihn. Die Welt, die ich sah, war nur rau und zerklüftet.
    Unsere Kellnerin kam mit den Drinks und dem gleichen müden Lächeln. Ihr Blick war auf Hank gerichtet, und so konnte ich sie genauer betrachten. Mitte vierzig, schätzte ich, mit schwermütigen Gesichtszügen und abgekauten Fingernägeln. »Danke, Zuckerschnute«, sagte er und schenkte ihr sein strahlendes Zahnlückenlächeln. Sie sah verlegen aus, aber als sie abrauschte, war ihr Gang lebhafter geworden.
    »Reagieren die niemals sauer?«, fragte ich ihn.
    »Nur wenn sie intelligent sind.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Hey«, sagte er. »Jeder kriegt gern Komplimente. Es ist eine billige Methode, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.« Er trank einen Schluck Bier. »Was ist denn mit Ihnen? Sie sehen beschissen aus.«
    »Wo bleibt mein Kompliment?«
    »Das war ein Kompliment.«
    »Danke.«
    »Im Ernst, Mann. Wie geht's Ihnen?«
    Plötzlich wurden meine Augen schwer. Ich konnte den Blick nicht mehr von der Flasche heben, die ich so eindringlich anstarrte. Es gab keine Antwort auf seine Frage. Denn niemand wollte hören, wie es mir in Wahrheit ging.
    »Geht so«, sagte ich schließlich.
    »Ich wette, Sie haben es satt, diese Antwort zu geben.« Er gab mir zu verstehen, dass ich ihm nichts vormachen konnte. Und dann lächelte er, um mir zu zeigen, dass er es mir nicht übel nahm. »Wenn Sie es sich mal anders überlegen...«
    »Danke, Hank. Ich weiß das zu

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