Der König der Lügen
schilderte das alles unter würgendem, herzzerreißendem Schluchzen. Dorthin sollte er zurück. Manchmal hatte es stundenlang gedauert.
»Ich kann das nicht, Mann. Ich kann's einfach nicht.«
Am nächsten Tag wurde er in das Zentralgefängnis nach Raleigh überstellt. Zwei Wochen später gelang es ihm endlich, sich umzubringen. Er war siebenundzwanzig, so alt wie ich damals. Ich habe es nie vergessen, denn es war die furchtbarste Demonstration absoluter Verzweiflung, die ich je gesehen hatte. Seitdem streiche ich mit einer Art morbider Faszination um das Gefängnissystem herum, sicher im Schutz meines Aktenkoffers und doch nah genug dran, um niemals zu vergessen, was ich in den Augen des jungen Mannes gesehen habe.
Also ja. Mills machte mir Angst. Schreckliche Angst sogar. Ich spielte ein gefährliches Spiel, und der Einsatz war brutal und handfest. Aber Ezra war tot und sein Schatten ebenso zerfallen wie sein Fleisch. Und ich war endlich dabei, das eine oder andere über mich selbst zu lernen.
Ich gab Mills zwei Minuten, um zu verschwinden, dann stürzte ich mich in den Pick-up. Ich musste mit Jean sprechen und sie vor Mills warnen. Ihr einschärfen, den Mund zu halten. Und wenn sie nicht auf mich hörte, würde ich sie zwingen. So oder so.
Starke Worte.
Ich raste die Main Street hinauf, aber ein durchfahrender Zug versperrte mir den Weg. Ich bog nach rechts in die Ellis Street und schoss über die Brücke hinweg; der Zug ratterte unter mir dahin wie eine kohlschwarze Schlange. Ich wusste nicht, ob Mills schon mit Jean gesprochen hatte oder nicht. Sie konnte in diesem Augenblick zu ihr unterwegs sein, und vielleicht wurde sie sogar von diesem Zug aufgehalten. Ich behielt die Straße halbwegs im Auge und wählte Jeans Nummer auf meinem Handy. Die Leitung war besetzt. Ich wartete kurz und drückte auf die Wiederwahltaste. Die Nummer war noch zweimal besetzt, dann klingelte es. Ich hatte die Hälfte des Weges hinter mir und fuhr fünfzig, wo nur fünfunddreißig erlaubt waren, und das Telefon klingelte immer wieder. Ich zählte bis fünf2ehn, aber niemand meldete sich. Ich warf das Handy auf den Beifahrersitz und versuchte mich zu beruhigen, doch es gelang mir nicht. Ich war einer Panik nahe. Anspannung und Angst legten sich wie heißer Schweiß auf mein Gesicht. Ich sah Jean im Gefängnis und wusste, dass sie es nicht überstehen würde. Es würde sie umbringen, wie die Kugeln in Ezras Kopf ihn umgebracht hatten.
Der Verkehr blieb hinter mir zurück, als ich die dicht befahrenen Straßen verließ und in schmalere kam, wo immer kleinere Häuser auf winzigen Grundstücken standen. Kinder spielten draußen, und ich bremste ab, um keins zu überfahren. Immer öfter kam ich an unbefestigten Einfahrten vorbei, und die Bahngleise rückten wieder näher. Autos standen wie Wracks in den Vorgärten herum, und die Blechdächer von Arbeiterhäusern, die schon ihr zweites Jahrhundert erlebten, waren streifig vom Rost.
Die Randsteine wurden bröckelig, dann war ich in Jeans Straße. Ein kleiner Junge saß auf der Reifenschaukel im Garten gegenüber, beobachtete mich mit ausdruckslosem Blick, und seine Füße schleiften im Staub. Ein Gesicht erschien im Fenster hinter ihm — zwei Augen und die Andeutung eines Mundes — und verschwand wieder hinter senfgelben Vorhängen, die sich flink schlossen, als ich mich abwandte.
Ich hielt vor Jeans Haus und stellte den Motor ab. Alex Shiften saß zurückgelehnt in einem Schaukelstuhl vorn auf der Veranda, die Füße auf dem Geländer. Eine Zigarette hing zwischen ihren Lippen, und sie beobachtete mich durch ihr glasloses Brillengestell. Ihre Mundwinkel krümmten sich herab, als ich ausstieg. In der Ferne hörte ich den Zug, und der Wind bewegte die Baumwipfel, aber ich fühlte ihn nicht. Noch immer war der Bahndamm von Kudzu überwuchert.
Ich richtete mich höher auf und betrat das Grundstück. Zweige knackten unter meinen Sohlen. Alex ließ mich nicht aus den Augen. Als ich näher kam, sah ich, dass sie ein Messer in der Hand hielt und gelassen an einem Stück Holz herumschabte. Ihr Haar war ungekämmt und stand stachlig vom Kopf ab, und die harten Muskeln in ihrem Arm bewegten sich beim Schnitzen. Sie stand auf, bevor ich die Treppe erreichte. Sie war barfuß und trug eine enge, verblichene Jeans.
»Was wollen Sie?«, fragte sie.
»Warum gehen Sie nicht ans Telefon?«, fuhr ich sie an.
»Weil Ihre Nummer auf dem Display war.« Sie lächelte kalt.
Ich stellte einen Fuß auf
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