Der König der Lügen
Alex' Parfüm, als ich mich an ihr vorbeidrängte. Jean knipste das Licht an, und ich sah, dass sie ein Kleid trug und einen blassrosa Lippenstift aufgelegt hatte. Auch Alex, sah ich, war gut angezogen. Im Haus roch es noch nach Essen. »Komme ich ungelegen ?« , fragte ich. Jean zögerte, aber Alex übernahm die Antwort.
»Wir feiern einen Jahrestag«, sagte sie und wartete, als wollte sie, dass ich nachfragte. »Zwei Jahre zusammen.« Sie legte Jean eine Hand in den Nacken. Es war klar, was sie meinte, und so wandte ich mich wieder an Jean.
»Ich muss mit dir reden. Es ist wichtig.« Ich sah, wie Alex die Mundwinkel verzog, und dachte an ihre höhnischen Worte bei meinem letzten Besuch. »Ich weiß, es ist ein ungünstiger Augenblick, aber es dauert nicht lange.« Alex ließ meine Schwester los und warf sich auf das Sofa. Wieder verschränkte sie die Hände hinter dem Kopf und riss erwartungsvoll die Augen auf. »Ich möchte mit dir allein sprechen«, sagte ich.
Jeans Blick ging zwischen Alex und mir hin und her; ihre Ratlosigkeit machte sie verwundbar. Ich dachte daran, wie sie mir als Kind überallhin gefolgt war.
»Ihr solltet hier reden«, sagte Alex zu Jean.
»Wir sollten hier reden«, wiederholte Jean wie ein Papagei; sie setzte sich neben Alex und lehnte sich an sie. »Worüber willst du reden?«
»Ja, Work«, sagte Alex. »Worüber wollen Sie reden?« Ihre Augen lachten. Sie haben das Recht zu schweigen.
Ich überlegte, wie ich anfangen sollte, wie ich ein so heikles Thema am besten zur Sprache brachte, aber all die Sätze, die ich mir zurechtgelegt hatte, all die cleveren Ideen, die mir auf der Fahrt nach Charlotte und zurück gekommen waren, vertrockneten und verwehten wie Staub.
»Du brauchst nicht mit der Polizei zu sprechen«, sagte ich. Sie richtete sich erschrocken auf und sah Alex an. »Es wäre sogar am besten, wenn du es nicht tätest.«
»Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte sie, und ihr Kiefer arbeitete, als suchte sie nach anderen Worten. »Mit der Polizei? Wovon redest du?« Sie wirkte verängstigt und nervös und plötzlich sehr lebendig auf der Couch. Alex legte ihr eine Hand auf das Bein, und sie beruhigte sich sichtlich. Dann, als fände sie sich mit dem Unausweichlichen ab, sagte sie: »Ach, du meinst Detective Mills.«
»Ja.« Ich nickte. »Sie leitet die Ermittlungen zum Mord an Vater. Wir hätten schon eher darüber reden sollen... Ich möchte nur, dass du begreifst, wie so etwas läuft. Was deine Rechte sind —«
Jean schnitt mir mit wildem Blick das Wort ab. »Ich will darüber nicht sprechen. Ich kann darüber nicht sprechen.« Mühsam rappelte sie sich von der niedrigen Couch hoch.
»Ich habe nicht —«
»Detective Mills sagt, ich darf mit niemandem darüber sprechen. Sie sagt, ich muss den Mund halten.«
Ihr Benehmen verwirrte und beunruhigte mich. »Jean«, fing ich an.
»Ich habe ihr nichts über dich gesagt, Work. Ehrlich nicht. Sie hat eine Menge Fragen gestellt, aber ich habe nichts über dich gesagt.«
Alex unterbrach die Stille meiner Bestürzung. »Sag's ihm einfach, Jean. Nur deshalb ist er hier.«
»Wovon reden Sie da?«, fuhr ich sie an, und Jean starrte mich an wie einen Fremden. Ihr Mund öffnete sich, und ihre Lippen wurden silbrig vom Speichel auf ihrer Zunge.
»Mills glaubt, dass Sie es waren«, sagte Alex. »Darüber wollte sie mit uns sprechen. Sie glaubt, Sie haben Ezra ermordet.«
»Das hat sie gesagt?«
»Nicht ausdrücklich.«
»Was habt ihr Mills erzählt?« Ich starrte Alex an, doch meine Frage war an Jean gerichtet. Alex sagte kein Wort, aber Jean schien mir immer weiter zu entgleiten. Sie nickte ein paarmal.
»Ich kann darüber nicht sprechen«, sagte sie. »Ich kann nicht. Ich kann einfach nicht.«
Ich sah, dass sie Tränen in den Augen hatte. Sie sah panisch aus, als sie so auf und ab lief wie ein Tier im Käfig.
»Es ist okay, Jean.., sagte ich. »Es ist alles in Ordnung.«
»Nein!«, schrie sie. »Nein, ist es nicht.«
»Beruhige dich.«
»Daddy ist tot, Work. Er ist tot. Ermordet. Er hat Mom umgebracht, und jemand hat ihn umgebracht. Jemand, jemand.« Ihre Stimme verlor sich, und ihr Blick irrte ziellos über den Boden. Sie blieb stehen und fing an, sich vor- und zurückzuwiegen, und ihre Finger verkrallten sich weiß ineinander.
Ich sah sie an, sah ihr wachsbleiches Gesicht und begriff, dass meine schlimmsten Befürchtungen Wahrheit waren. Sie hatte Ezra umgebracht. Sie hatte abgedrückt, und diese Wahrheit hob sie
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