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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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Ein Lidschlag.
    Vorbei. Beängstigend.
    Ich bog in die Nebenstraße, die am Teich vorbei und zu meinem Haus führte, und sah einen Pick-up, der davor am Randstein parkte. Als ich näher kam, erkannte ich ihn. Ich bremste ab und fuhr sehr langsam weiter. Er gehörte Vanessa.
    Ich hielt neben dem Wagen an und stellte den Motor ab. Durch das Seitenfenster konnte ich sie sehen; ihre Hände umklammerten den oberen Teil des Lenkrads, und ihr Kopf lag auf den Händen, als schliefe oder betete sie. Falls sie wusste, dass ich da war, ließ sie es sich nicht anmerken, und ich beobachtete sie eine ganze Weile und hörte nur meinen Atem in der Stille. Langsam und zögernd hob sie den Kopf und drehte sich zu mir um. Im Dunkeln konnte ich sie kaum sehen — nur die Umrisse des Gesichts, das ich so gut kannte. Ich drehte mein Fenster herunter.
    »Was machst du hier?«, fragte ich sie.
    »Du hast mich erschreckt«, sagte sie steif.
    »Das wollte ich nicht.« Sie schniefte, und ich begriff, dass sie geweint hatte. Sie hatte mein Haus beobachtet und geweint.
    »Ich habe deine Nachricht gehört«, sagte sie. »Ich dachte, ich wollte dich sehen. Aber ...« Sie deutete zum Haus, und erst jetzt sah ich, dass fremde Autos in der Einfahrt standen und sämtliche Lichter brannten. Sie wischte sich über die Wangen, und ich wusste, dass ich sie in Verlegenheit gebracht hatte.
    »Du dachtest...«, fing ich an.
    Eine endlose Minute lang sagte sie nichts. Ein Wagen bog in die Straße ein, und im Licht seiner Scheinwerfer sah ich, dass sie ernst und schön war. »Du hast mir wehgetan, Jackson.« Sie schwieg kurz. »Ich glaube, ich kann mich nicht noch einmal so sehr von dir verletzen lassen. Aber dann hast du diese Nachricht hinterlassen ...« Sie brach ab, und ein winziges Schluchzen entfuhr ihr, bevor sie die Zähne zusammenbiss.
    »Ich hab's ernst gemeint. Alles.«
    »Ich muss fahren«, erklärte sie plötzlich. Ihre Hand griff zum Zündschlüssel.
    »Warte«, sagte ich. »Lass mich mitfahren. Zurück zur Farm.« Ich würde ihr alles erzählen — von Jean, von Ezra, aber vor allem von meinen Gefühlen für sie und von der Scham, die ich all die Jahre hindurch vor ihr verborgen gehalten hatte. »Es gibt so viel zu sagen.«
    »Nein.« Ihre Stimme klang scharf und laut. Sie wurde wieder leiser. »Ich kann das nicht. Nicht noch einmal.«
    »Doch, das kannst du.«
    »Nein, ich kann es nicht. Wenn ich es täte, müsste ich Angst haben, dass du mich zerstörst. Und nichts ist das wert, davon bin ich überzeugt.« Sie legte den Gang ein. »Nicht einmal du.«
    »Vanessa, warte.«
    »Komm mir nicht nach, Jackson.«
    Dann war sie weg, und ich starrte ihren Schlusslichtern nach. Sie wurden kleiner, bogen um die Ecke und verschwanden. Ich schloss die Augen, aber die roten Punkte sah ich immer noch. Irgendwann fuhr ich nach Hause, parkte zwischen einem Mercedes und einem BMW und ging durch die Garage in die Küche. Aus dem Esszimmer dahinter kam Gelächter. Es rollte über mich hinweg, als ich eintrat.
    »Ach, da bist du ja«, sagte meine Frau. »Gerade rechtzeitig zum zweiten Gang.«
    Dann war sie aufgestanden und kam mir entgegengerauscht. Ein Lächeln zerknitterte ihr Gesicht, doch ihren Blick konnte ich nicht deuten. Noch zwei andere Paare waren da, die Wersters und ein Paar, dessen Namen ich nicht kannte. Sie lächelten amüsiert, und plötzlich war Barbara an meiner Seite. Sie roch nach Parfüm und Wein. Sie strich über mein Hemd. Aus der Nähe sah ich, dass sie beunruhigt war. Nein, dachte ich, sie sah aus, als hätte sie furchtbare Angst. Sie lehnte sich an mich, umarmte mich und sagte sehr leise: »Bitte, mach keine Szene.« Dann löste sie sich von mir. »Wir haben uns Sorgen um dich gemacht.«
    Ich schaute über sie hinweg: Alle nickten und lächelten — makellos gepflegte Erscheinungen über leinenem Tischtuch und poliertem Silber. Rotwein in geschliffenen Kristallgläsern fing das Licht von einem Dutzend Kerzen ein, und ich dachte an Jean und an das geschmolzene Wachs auf ihrem wackligen Küchentisch. Ich sah sie im orangefarbenen Gefängnisoverall in der Schlange vor der Essensausgabe stehen, wo etwas Braunes, Lauwarmes mit einer Kelle in ein Muldentablett geklatscht wurde. Dieses Bild brannte sich so tief ein, dass ich die Augen schließen musste. Als ich sie wieder öffnete, saß Bert Werster immer noch auf meinem Stuhl. »Ich zieh mich um«, sagte ich und ging hinaus. In der Küche griff ich mir eine Flasche Bourbon und verließ das Haus

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