Der König der Lügen
was ich dazu sagen soll.«
»Dann sagen Sie einfach nichts.«
»Es ist unangenehm, Work. Bringt mich in eine dumme Lage.« Er schwieg kurz. »Ich nehme an, die haben einen Durchsuchungsbefehl?«
»Ich glaube, sie hoffen die Mordwaffe zu finden«, erwiderte ich. »Oder sonst was, das mich belastet.« Ich wusste, was er dachte. Einen Durchsuchungsbefehl hatten sie nur bei hinreichendem Tatverdacht bekommen können. Das hieß, sie hatten etwas gegen mich in der Hand.
»Gibt's eine echte Chance für eine Anklage?«, fragte er.
»Höchstwahrscheinlich.«
Hank verstummte. Angesichts dieser Neuigkeiten konnte ich es ihm nicht verdenken. Wir waren gute Bekannte und tranken manchmal einen zusammen, aber Freunde im eigentlichen Sinn waren wir nicht. Ich konnte fast sehen, was in ihm vorging. Er war in seinem Job großenteils auf Aufträge von Strafverteidigern angewiesen, konnte sich jedoch nicht leisten, die Polizei vor den Kopf zu stoßen. »Ist es so ernst?«, fragte er schließlich. Da hineingezogen zu werden, war das Letzte, was er wollte; das wusste ich.
»Könnte sein. Die Ermittlungsleiterin hat mich auf dem Kieker. Wahrscheinlich werden Sie es morgen in der Zeitung lesen.«
»Mills?«, fragte er, aber er brauchte keine Antwort. Vermutlich wollte er Zeit schinden, bis er sich überlegt hätte, wie er zu all dem stehen sollte. »Kann ich irgendwas für Sie tun?«
Sein Zögern war spürbar. In diesen Fall verwickelt zu werden, konnte ihm nur schaden. Es war ihm hoch anzurechnen, dass er fragte, aber ich wusste, welche Antwort er hören wollte.
»Im Moment nicht, Hank. Trotzdem vielen Dank.«
»Hey. Ihr Dad war ein Arschloch, aber ich glaube nicht, dass Sie ihn erschossen haben.«
»Danke. Das bedeutet mir etwas, Hank. Zurzeit höre ich das nicht oft.«
Sein Ton wurde wärmer. »Lassen Sie sich nicht nervös machen, Work. Sie haben das alles schon öfter gesehen. Sie wissen, wie so was läuft.«
Sie wissen, wie so was läuft. Douglas hatte die gleichen Worte benutzt.
Ich beschloss, das Thema zu wechseln. »Und was liegt sonst an, Mann? Irgendeine Hoffnung auf gute Nachrichten?«
Hank war nicht dumm. Er verstand. Ich musste die Unterhaltung auf neutrales Gebiet bringen. »Ich war heute Morgen in Charter Hills«, erzählte er. »Habe mich da zwei Stunden umgesehen.«
Charter Hills war eine psychiatrische Klinik in Charlotte, eine der besten im ganzen Staat. Ezra hatte Jean dort einweisen lassen, als sie ihren zweiten Selbstmordversuch unternommen hatte. Noch jetzt sah ich die Klinik in krasser Klarheit vor mir. Warme Farben und frische Blumen vermochten nicht das Leid derer zu verbergen, die zu einem Dasein hinter den hohen Ziegelmauern verdammt waren, freiwillig oder nicht. Ich hatte Jean oft dort besucht; sie hatte nie mit mir gesprochen, und ihr Arzt hatte gesagt, das sei normal. Ich hatte ihm nicht geglaubt. Wie hätte ich es können? Sie war meine Schwester.
Sie war lange Monate in diesem Haus gewesen. Dort hatte sie Alex Shiften kennengelernt.
»Hören Sie, Hank ...« , fing ich an.
Er fiel mir ins Wort. »Es gibt dort keine Unterlagen über eine Patientin namens Alex Shiften.«
»Was?«
»Überhaupt keine Unterlagen.«
»Das kann nicht sein«, sagte ich. »Sie haben sich da kennengelernt.«
»Das glaube ich nicht. Es sei denn, sie wäre unter einem anderen Namen in Charter Hills gewesen.«
Ich versuchte mich zu konzentrieren,. aber es fiel mir schwer. »Was sagen Sie da?«
Hank seufzte. »Ich weiß nicht, was ich da sage. Das ist das Dumme. Es ergibt keinen Sinn, und ich habe nicht genug Informationen, um auch nur darüber zu spekulieren. Aber etwas stinkt da. Das kann ich riechen.«
Ich hatte immer noch Mills im Kopf und konnte mich deshalb nur mühsam auf Hank einlassen, doch das alles wäre unwichtig, wenn Jean die Ermittlungen nur überlebte, um dann mit Alex allein zu sein. Die Frau bedeutete nichts Gutes. Das war mir irgendwie klar, und ich musste mich um dieses Detail kümmern, bevor es zu spät war. Aber leider war ich ratlos.
»Was schlagen Sie vor?«, fragte ich.
»Ich brauche ein Bild von Alex«, sagte er, ohne zu zögern. »Was haben Sie vor?«
»Damit fahre ich noch mal nach Charter Hills. Und dann werden wir sehen.«
Eine Woge der Dankbarkeit durchflutete mich. Hank wollte keine Schwierigkeiten mit der Polizei bekommen, gut. Aber diese Angelegenheit würde er erledigen, für mich und für Jean. Er war standhaft in einer Welt, der es an Standhaftigkeit fehlte. Irgendwie
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